Das Glücksprojekt
bemerkt, dass meine täglichen Gedanken und Erlebnisse nicht so recht zu dieser romantischen Kulisse passen wollten. Wenn man auch noch so adrett an einem Marmortischchen sitzt, Sätze wie: »Liebes Tagebuch, mir ist heute L. aber so was von auf die Nerven gegangen, dass der auch überall seine Socken rumschmeißen muss! Jana hat sich übrigens einen lila Vibrator gekauft«, holen einen recht schnell aus der Filmkulisse zurück in die Realität. Wikipedia weiß, dass die hier auch alle Tagebuch schrieben: John Lennon, Kurt Cobain, Rudi Dutschke, Max Frisch, André Gide, Joseph Goebbels, Johann Wolfgang von Goethe, Ernst Jünger, Franz Kafka, Thomas Mann, Anaïs Nin, Leo Tolstoi, Anne Frank, Virginia Woolf und noch ein paar andere. Ich habe die Tagebücher von Virginia Woolf gelesen, da steht nicht ein einziges Mal: »Dass Leonard immer seine Socken rumliegen lässt, macht mich noch wahnsinnig.« Auch kein Wort von Vibratoren oder Ähnliches. Ich möchte das an dieser Stelle unbedingt festhalten: Ich möchte nicht , dass meine Versuche eines Tagebuchs nach meinem Tod veröffentlicht werden. Auch im Interesse potenzieller Leser.
Also, fangen wir an. Als Glückstagebuch muss ein altes Moleskine-Notizbuch herhalten, in dem ich mit 15 schon mal Tagebuch führen wollte. Auch da habe ich nur zehn Seiten lang durchgehalten, und die beschäftigten sich ausschließlich mit zwei Themen:
Sascha Probst liebt Karina und nicht mich.
Meine Mutter ist anscheinend recht anstrengend während meiner Pubertät.
Diese Seiten überblättere ich und fange an. GLÜCKSTAGEBUCH schreibe ich auf Seite elf. Dann lege ich das Buch weg und vergesse es für eine Weile. Falls Sie auch so eine Spezialistin im Verdrängen sind: Legen Sie das Ding einfach auf den Nachttisch neben das Bett. Und einen Kuli dazu.
Die Glücksmomente von heute, 14. März:
Die Sonne hat heute das erste Mal nach dem Winter mein Gesicht gewärmt.
L. hat mir heute Morgen einen Zettel mit einem Herz auf dem Küchentisch hinterlegt.
Frau Drösel hat sich den Arm gebrochen und ist eine Woche krankgeschrieben.
Darf man sich darüber freuen, dass sich jemand den Arm gebrochen hat? Das gibt doch bestimmt Karmapunkte-Abzug. Aber ich freue mich ja nicht über den Bruch an sich, sondern über ihr Zuhausebleiben. Und da freut sie sich selbst bestimmt auch drüber, wir freuen uns quasi gemeinsam. Fantastisch, wie man sich immer alles zurechtlegen kann.
Glücksmomente, 15. März:
Bei meiner Zugfahrt nach Schweinfurt waren meine insgesamt drei Anschlusszüge pünktlich.
Aus Schweinfurt abfahren.
Dass L. für mich abends extra zur Tankstelle gegangen ist, um mir ein kaltes Bier zu holen.
Was übrigens bei Partnern gar nicht gut ankommt, ist, wenn Sie gerade eine hervorragende Sexszene im Bett hinter sich haben und dann, noch rot im Gesicht, zu Ihrem Nachttisch robben, um das in Ihr Glückstagebuch zu schreiben. L. fühlt sich da, als würde er benotet. Vor allem sollten Sie mal sein Gesicht sehen, wenn wir Sex hatten und ich dann nicht zum Glückstagebuch greife.
Ich mache das jetzt schon ein halbes Jahr, jeden Abend schreibe ich mindestens drei Dinge auf. Und wenn ich abends blättere, um die nächste leere Seite zu finden, und ein paar Einträge lese, freue ich mich gleich noch mal. Es gibt einige magische Momente, die hätte ich sonst schon längst wieder vergessen. Zum Beispiel die Nacht, in der ich nicht schlafen konnte und mich auf den Balkon setzte, um die Sterne zu beobachten. Und Schmitz sich neben mich setzte und mit beobachtete. Oder als der Polizist bei der Verkehrskontrolle auf das Buch auf meinem Beifahrersitz deutete und wir eine nette Unterhaltung über Lyrik zustande brachten, während er meinen Strafzettel schrieb. Oder als L. mich in der Agentur mit Sushi und Weißwein überraschte, als ich die halbe Nacht durcharbeiten musste. Und wie wir das Essen dann auf dem Dach bei Vollmond verzehrt haben. Ob die ganze Schreiberei mich jetzt mehr glückliche Momente erleben lässt, kann ich schwer sagen. Ich glaube nicht. Aber meine Wahrnehmung hat sich ganz deutlich verändert. Inzwischen denke ich mir in einem glücklichen Augenblick immer: Ach, wie schön, was für mein Tagebuch.
Großzügig sein
Großzügig zu sein, liegt mir nicht so. Ich bin da wie ein bekannter Internetanbieter: Drei, zwei, eins … meins. Für immer. Ich gebe nichts gerne wieder her: Jeans, die mir das letzte Mal als Fötus gepasst haben, Exfreunde, Möbel oder Straßenkatzen. Weggeben ist für mich
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