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Das Glücksprojekt

Das Glücksprojekt

Titel: Das Glücksprojekt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alexandra Reinwarth
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Mutter sagen würde, »irgendwann geblieben«. Suchen Sie den ruhig mal per Bildersuche im Internet: Sie werden kaum ein Foto finden, auf dem der Gute nicht über beide Ohren grinst. Klingt nicht nach einer schwierigen Übung, oder? Tja. Ich hab das dann probiert.
    Ich bin nicht das, was man einen »Frühmensch« nennen kann. Am ersten Morgen vergesse ich die Übung komplett. Am zweiten Morgen tue ich so, als hätte ich sie vergessen. Am dritten Morgen stütze ich mich mit beiden Armen auf das Waschbecken, lehne mich nach vorne und sehe meinem Spiegelbild tief in die Augen. Ich sehe Augenringe, die bis zu den Kniekehlen gehen – da gibt es nichts zu lächeln. Ich lege Zeige- und Mittelfinger meiner Rechten in die Mundwinkel und schiebe sie nach oben. Wie ein Vollidiot, finde ich. In dem Moment steckt L. seinen Kopf zur Badezimmertüre herein: »Brauchst du noch la… – was machst du denn da?«
    Ich drehe mich zu ihm: »Sch läschle«, sage ich mit den Fingern in den Mundwinkeln.
    »Bezaubernd«, findet L. und schließt schnell wieder die Tür.
    Morgens wird das nichts mit uns, also mit meinem Spiegelbild und mir. Den Feind lächle ich nicht an, den beschmiere ich mit Anti-Falten-Creme, das muss reichen. Ich verlege das Projekt auf abends. Nach dem Zähneputzen. Und ich sperre die Badezimmertüre ab, weil es L. himmelangst wird, wenn er mich grinsend vor dem Spiegel antrifft. Ich rufe mir eine Szene ins Gedächtnis, die mir das Lächeln erleichtert. Zum Beispiel jene, als L. in unserem Wohnzimmer einen Striptease für mich hinlegte, weil er beim Pokern verloren hatte. Oder wie mir letztes Jahr Jana volltrunken ihre immerwährende Freundschaft beteuerte und dabei auf eine Flasche Barolo schwor. Und aus Versehen nicht drei Finger zum Schwur erhob, sondern nur den Mittelfinger. Da bringe ich doch ein schönes Lächeln zustande. Ich versuche auch, über den Tag verteilt öfter zu lächeln. Vom Lächeln in der Öffentlichkeit habe ich allerdings etwas Abstand gewonnen, das wird oft missverstanden. Da fühlen sich plötzlich wildfremde Männer aufgefordert, mich anzusprechen, der Wachturm -Zeuge geht mir freudig entgegen und der Punk, der sich aus der Menge Leute auf der Straße einen zum Anschnorren heraussucht, hat mich im Visier, weil er mich mit meinem doofen Grinsen sogleich als das schwächste Glied in der Kette ausmacht. In der Arbeit kommt mein Lächeln auch nicht so gut an. Meine Kollegin Frau Drösel fragt mehrmals: »Ist alles in Ordnung?«, und sieht mich an, als hätte ich nicht mehr alle Tassen im Schrank. Derweil ist sie es, die nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.
    Wenn ich künstlich lächle, mit Augenringmuskel und allem, dann stellt sich das gleiche Gefühl ein wie kurz nach einem »echten« Lächeln, also einem mit Grund. Bei einem echten Lächeln klingt der Auslöser der Freude noch ein bisschen in einem nach, das ist bei der Lächelübung nicht so. Es ist ein bisschen wie Wellenreiten im Badesee. Es ist schön, man wird nass und so, nur die Wellen fehlen.
    Glückstagebuch schreiben
    Ein Glückstagebuch soll mich glücklicher machen. Sonst hieße es ja auch nur Tagebuch. Oder Depri-Buch. Oder So-lala-Buch. Es wird mir von allen Glücksforschern wärmstens ans Herz gelegt, weil ich dadurch meine Wahrnehmung auf Glück eichen kann. Das ist so wie mit den Kinderwägen. Man überlegt sich, ob man in diesem Leben noch Kinder bekommen möchte, und plötzlich fahren auf den Bürgersteigen 300 Prozent mehr Kinderwägen herum als sonst. Oder man ist noch klein, hätte gerne einen Hund und bekommt keinen. Dann ist die Welt voller Hunde – und alle anderen haben einen. Das ist wie ein Tunnelblick, da werden wir geeicht drauf. Und mit den Glücksgefühlen geht das angeblich genauso. Wenn ich meine Aufmerksamkeit täglich in ihre Richtung lenke, dann verändere ich meine Wahrnehmung so, dass ich viel öfter automatisch diesen ausgelatschten Weg zu den Glücksgefühlen gehe, innerlich. Dazu muss ich jeden Tag mindestens drei Glücksmomente in mein Tagebuch schreiben. Da sind wir beim Problem Nummer eins: Ich habe kein Tagebuch. Ich habe das ein paarmal versucht anzufangen, weil mir irgendwie das Halbwissen suggeriert wurde, dass das eine gute Sache ist. Aber im Endeffekt wollte ich nur ein hübsches Büchlein haben, in einem Café sitzen und in schöner Schrift mit einem Tintenfüller recht attraktiv darin herumschreiben. Ich wollte es hübsch verzieren mit Sachenreinkleben und so. Leider habe ich aber schnell

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