Das Glücksprojekt
Kopf eine große, dunkle Wolke, die mich stetig verfolgt. Manchmal ist sie weiter weg, oft kommt sie näher und sieht bedrohlich auf mich herab. »Altersvorsorge«, grummelt sie, und ich zucke dann immer leicht zusammen und beschäftige mich schnell mit etwas anderem. Ich bin damit nicht allein, mir scheint, das ist eine ausgeprägte Volkskrankheit, zumindest bei uns Freiberuflern. Wenn Sie mal wieder ein Freiberufler damit nervt, wie toll es ist, sein eigener Chef zu sein, wie dufte man mit dem Laptop vom Bett oder Biergarten aus arbeiten kann und wie ungezwungen man in seinem Loft herumhüpft und kreativ sein kann, dann werfen Sie kurz das Wort »Altersvorsorge« in den Raum. Dann ist in den meisten Fällen wieder Ruhe im Karton. Ich bin mir sicher, dass es auch den einen oder anderen Freelancer gibt, der sich rechtzeitig um seine Rente kümmert. Der den Unterschied zwischen Riester und Rürup kennt, in einen Fonds einzahlt und heute schon weiß, wie viel Geld er mit 70 monatlich zur Verfügung haben wird. Da gehöre ich nicht dazu. In meiner Vorstellung bin ich nie 70, sondern für immer 30. Da ich aber keine 30 mehr bin und für eine vernünftige Altersversorgung spät dran, verdränge ich diese Tatsache lieber und beschäftige mich mit etwas anderem. Meine größte Befürchtung ist, dass ich erfahre, wie wenig Rente ich bekomme, obwohl ich so viel einzahle, wie ich kann. Dann wüsste ich jetzt schon, dass ich zielsicher auf die Altersarmut zusteuere – das vermiest einem doch das ganze Leben. Und es ist natürlich auch so: Ich müsste mich informieren, da mein Wissen über Altersvorsorge und Versicherungsmodelle ähnlich diffus ist wie das über Ottomotoren. Und das Thema ähnlich interessant.
Aber das schlechte Gewissen nagt natürlich doch. Ich habe ausgerechnet, was ich an gesetzlicher Rente bekomme. Das beläuft sich ungefähr auf 7,50 Euro im Monat. Nicht die Welt? Habe ich mir auch gedacht.
»Was machst du denn da?«, fragt L., als er mich inmitten von 300 Broschüren, Faltblättern und Dokumentenmappen auf dem Wohnzimmerboden sitzen sieht. »Altersvorsorge«, sage ich, woraufhin L. sofort die Flucht ergreift. Auch so ein Freiberufler. Die Papiere habe ich von meiner Bank bekommen und von ein paar privaten Versicherungen, die alle haargenau wissen, wie man mich im Alter am besten über die Runden bringt. Am liebsten würde ich einfach das schönste Logo raussuchen und der betreffenden Versicherung alles Weitere überlassen.
Mithilfe von Verbraucherschutz, Test und Google suche ich eine Versicherung aus und rufe dort an. Der Anruf von Kanossa. Die Frau am Telefon tut so, als sei das ganz normal, und verspricht, mir einen Berater vorbeizuschicken. Verkehrte Welt: Früher musste man die Typen immer an der Tür abwimmeln. Nach einer Beratung, die volle vier Stunden dauert, ist klar, was in meinem Fall ideal ist und wie viel ich im Monat zahlen muss. Es ist auch klar, dass ich doch nicht in die Altersarmut rutsche. Bei der Gelegenheit habe ich auch gleich noch den sich windenden L. mit seiner Altersvorsorge konfrontiert und jetzt hat auch er eine Versicherung abgeschlossen, mit der wir, wenn wir später alles zusammenschmeißen, ganz gut über die Runden kommen können. Als der Versicherungsfritz aus der Tür ist, sinke ich ermattet aufs Sofa. Ich lege meinen Kopf in den Nacken und sehe nach oben:
Nichts. Keine Wolke.
Ich möchte fast lachen, so albern komme ich mir im Nachhinein vor. Jahrelang habe ich diese Sorge mit mir herumgeschleppt, mit schlechtem Gewissen sofort weggehört, wenn das Thema Rente aufkam, und bin im Zickzack gelaufen, um der dunklen Wolke zu entkommen. Und dann dauert es vier Stunden, um mir einen Stein von der Größe einer Dulme vom Herzen zu nehmen. »Lass uns eine Flasche Cava aufmachen«, sage ich laut, aber L. steht schon in der Türe mit zwei Gläsern in der Hand. So wird er auch vor mir stehen, wenn wir alt sind, vielleicht mit zwei Gläschen Doppelherz. Ich freu mich drauf.
Nach der Sache mit der Altersversorgung scheinen mir die anderen längst überfälligen Dinge, die ich erledigen soll, wie Kinderkram. Sehr, sehr lästiger Kinderkram. Ich schreibe eine Liste, auf der steht:
Das Wohnzimmer streichen
Einen Zahnarzttermin ausmachen
Mit meiner Bank sprechen wegen der Gebühren und darauf verweisen, dass andere Banken auch hübsche Filialen haben
Einer alten Freundin endlich das Buch schicken, von dem ich glaube, dass es sie freuen würde, mit einem persönlichen Brief
Weitere Kostenlose Bücher