Das Glücksrezept - O'Neal, B: Glücksrezept - The Lost Recipe for Happiness
durchdringend, bohrten sich in ihn. »Haben Sie eine Ahnung, wie viele Männer mit mir schlafen wollten, nur weil ich einen grauenhaften Unfall überlebt habe?«
»Elena -«
»Haben Sie eine Ahnung, wie oft Reporter auftauchen, um eine Story über ein Restaurant zu schreiben, und versuchen, etwas über den Unfall aus mir herauszukitzeln? Ich bin wie ein Priester, der seiner Berufung abgeschworen hat – jeder will die Geschichte hören.« Sie kniff die Augen zusammen. »Aber ich werde Ihnen keine Geschichte liefern, Herr Meisterregisseur.«
Die Hitze schoss ihm ins Gesicht. Scham. »Touché«, sagte er leise.
»Dabei«, fuhr sie fort, »ist es so alltäglich. Wie viele Leute kommen täglich bei Unfällen ums Leben?«
»Viele«, bestätigte er. »Mich interessiert mehr die Tatsache, dass Sie leben, Elena.«
Einen Moment lang saß sie da, die Hände im Schoß, und starrte ihn an. Wieder hatte er das Gefühl, als bewege sich die Luft, als stiegen Wellen der Hitze um sie herum auf, doch ihr Gesicht war das Abbild einer spanischen Madonna, beherrscht, blauäugig und zu empfindsam für eine Mutter Gottes.
Unvermittelt schien sich ihre Unnachgiebigkeit zu lockern. »Julian, ich rede nur nicht gern darüber.«
»Okay.«
Die eigentümliche Aura verschwand, so dass wieder die Frau vor ihm saß, die er engagiert hatte, um seine Küche zu leiten, schön und gebrochen und merkwürdig, aber nichtsdestotrotz nur eine Frau. »Sollen wir aufbrechen?«
Julian nickte. Das Schlimme daran war, dass ihre Warnung seine Neugier nur noch weiter anstachelte.
Nach dem Essen mit Julian fand Elena keine Ruhe. Sie lag im Dunkeln und dachte über die neue Speisekarte nach. Würde sie ausreichen? Gab es genug Abwechslung? War für jeden Geschmack etwas dabei? War es zu viel? Oder zu gewöhnlich? Zu prätentiös?
Nicht jetzt, sagte sie sich. Doch Julians Gesicht, jener wissende Ausdruck in seinen Augen, schob sich in ihr Gedächtnis. Die Art, wie er ihren Blick festhielt, dann die Lider senkte, als bewahre er ein Geheimnis in den Tiefen seines Innern. Sie dachte an seine Hände, wie sie …
Nein, das auch nicht.
Sie drehte sich auf die Seite und lenkte ihre Gedanken aufs Essen. Auf Rezepte, auf Zutaten. Sie zwang sich, einen leuchtend bunten, vor frischen Früchten und Gemüse überquellenden Bauernmarkt heraufzubeschwören – dicke Kürbisse, pralle Wassermelonen und erdige Kartoffeln. Eine Katze, die neben der gestreiften Markise im Staub saß. Ah, dachte sie und spürte, wie der Schlaf kam. Die Landwirtschaftsausstellung. Ihr Onkel George, der die dicksten Kürbisse im ganzen Tal züchtete. Zumindest bevor sein Sohn starb. Donnie.
Donnies Begräbnis. Elena vergrub sich tiefer in den weichen Kissen und spürte, wie die Anspannung von ihr abfiel. Ja, Donnies Begräbnis. Ein guter Tag.
Elena war zwölf Jahre alt, als Donnie ums Leben kam, indem er das riesige »Big O Tires«-Schild südlich des Highways niedermähte. Natürlich war er viel zu schnell gefahren, ein Rennen. In Española gab es damals nicht viel, was man sonst mit seiner Zeit anstellen konnte. Und heute ebenso wenig.
Zur Beerdigung fanden sich Tanten, Onkel, Cousins und Cousinen ein, die Elena noch nie zuvor gesehen hatte. Alle hatten sich in Schale geworfen und Kleider aus dem Schrank geholt, die sie nur zu Hochzeiten, Begräbnissen und Highschool-Abschlussfeiern trugen – darunter modische Schätze aus den Siebzigern, wie sie mit einen Anflug von Hohn bemerkte. Polyester und sogar Schuhe mit Plateauabsatz. Sie und Isobel steckten die Köpfe zusammen und lästerten.
Donnies Vater war am Boden zerstört. Elena beobachtete ihn argwöhnisch, als sich alle Trauergäste in dem winzigen, brüllend heißen Haus drängten oder in den aus festgetretener Erde bestehenden Garten strebten, wo Klappstühle und Picknicktische aufgebaut worden waren. Ein abgemagerter Hund machte seine Runde, winselte und bettelte abwechselnd, schob sich an den Beinen der Trauergäste vorbei,
die sich um das Bierfass unterm Baum versammelt hatten. Onkel George setzte sich daneben, kippte sein Bier mit einem einzigen Schluck hinunter und streckte wortlos den Plastikbecher aus, um nachgeschenkt zu bekommen.
Isobel, stets für eine Ablenkung zu haben, verschwand mit einigen der älteren Cousins hinter die Scheune, wo sie rauchten, schmutzige Witze auf Spanisch zum Besten gaben und versuchten, Isobel zu schockieren. Elena, die weder Lust auf Zigaretten noch auf Witze hatte, verzog sich.
Es war
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