Das Glücksrezept - O'Neal, B: Glücksrezept - The Lost Recipe for Happiness
ein Paradies aus Töpfen, Büchsen und Gläsern, denen ein geradezu narkotischer Duft entströmte und Elena jedes Mal geradewegs zu Kopfe stieg. Die Besitzerin, Marie, die an die sechzig Jahre alt sein musste, hatte im hinteren Teil des Ladens einen Altar mit einer Statue der schwarzen Madonna, umgeben von flackernden roten Kerzen, aufgebaut. Regelmäßig stellte sie frische Blumen davor und zündete schlanke Kerzen mit den sieben Heiligen vor der geschnitzten dunklen Schönheit an. Elena empfand den Altar als tröstlich, wie ein vertrautes Symbol in einer Stadt, die so ganz anders war als jeder Ort auf der Welt, den sie kannte.
»Raus, raus«, schrie Marie, als Elena das erste Mal den Laden betrat, und wedelte mit ihren dunklen, knochigen Händen. Erschrocken machte Elena kehrt.
Sanft hielt Marie sie am Arm fest. »Nein, nicht du, Kind. Die, die du mitgebracht hast. Die wollen wir hier nicht haben. Hier drin sollst du Ruhe vor ihnen haben, ja?«
Die alte Frau braute starke exotische Tees, manchmal mit einem Schuss Rum drin, und erzählte Elena Geschichten von Männern in ihrem Leben und von Gerichten, die sie für sie gekocht hatte. Sie war Zauberin, Schlangenbeschwörerin,
möglicherweise sogar Voodoo-Priesterin, doch ihre wahre Magie lag, wie Elena instinktiv wusste, in ihren Kenntnissen über die Wirkung der einzelnen Gewürze. Marie, die sich stets sehnlich eine Tochter gewünscht hatte, nahm Elena während der beiden Jahre, in denen sie über dem Laden wohnte, unter ihre Fittiche und lehrte sie die geheime Sprache der Gewürze – wie Safran ein Gericht zum Leben erwachen ließ, die Raffinesse von Muskat, die Schärfe von Ingwer. Marie brachte ihr bei, wie man Gewürze richtig probierte und dosierte, wie man scharf und süß, bitter und neutral, mild und salzig vereinte.
Elena musste an Marie denken, als sie und Julian am nächsten Abend eine geschmackvolle Fusion aus indischer und karibischer Küche probierten. Das ReNew Café hatte vor drei Jahren eröffnet und lief hervorragend. Ein vegetarisches Bio-Restaurant mit einer ausgewählten Karte, umweltbewussten Prinzipien und einem hippen, jungen Ambiente – zur Überraschung aller, vor allem aber der Besitzer, war das Konzept voll aufgegangen. Sie hatten sogar neue Räume anmieten müssen, um die Flut an Gästen bewältigen zu können, doch nun bestand der Besitzer darauf, dass es keinen weiteren Umzug geben würde. Sie konnten schlicht und einfach keine hundert Gäste an einem Abend bewirten und dabei den Standard – authentische, vegetarische Bio-Küche, à la minute gekocht und serviert – garantieren, den er sich vorstellte.
»Schmeckt es Ihnen?«, fragte der Kellner, ein schlaksiger, hinreißend junger Kerl, dessen Oberkörper etwa doppelt so lang war wie seine Beine.
»Es ist fantastisch«, lobte Elena ihren Eintopf. »Hervorragende Gewürze.«
»Gut«, sagte er. »Sagen Sie einfach Bescheid, wenn ich Ihnen noch Tee bringen darf.«
Das war die zweite Besonderheit – im ReNew Café wurde kein Alkohol ausgeschenkt. Der Besitzer war Baha’i.
»Die Musik gefällt mir auch«, meinte Julian. »Was ist das?«
»Irgendetwas Weltmusikmäßiges«, antwortete der Kellner. »Ich werde mich für Sie erkundigen.«
Elena lächelte, als sich der Junge zum Gehen wandte. Julians Tarnung hatte sich als bemerkenswert schlicht – und effektiv – entpuppt. Er hatte seine Locken unter einer Strickmütze im Rasta-Stil verborgen und trug eine Brille mit schwarzem Horngestell, dazu ein schwarzes T-Shirt mit langen Ärmeln und Holzperlen am Ausschnitt. Er sah aus wie ein Professor für kongolesische Kulturgeschichte oder Sufismus-Lyrik. »Sie spielen Ihre Rolle als komischer Kauz sehr gut.«
»Ja, Ma’am. Alles Erfahrungssache.«
»Sie meinen, mit Tarnungen?«
Er grinste wehmütig. » Njet . Als echter Freak. Mit siebzehn habe ich Dungeons & Dragons und Schach gespielt.«
»Wie entsetzlich!«
Er hob einen Finger. »Ich hatte auch sämtliche Bücher von Stephen King im Regal und konnte Edgar Allen Poes Der Rabe zitieren, und zwar Wort für Wort.«
Elenas Nasenflügel bebten vor Vergnügen. »Ich sehe einen mageren, hochsensiblen Jüngling vor mir. Lassen Sie mich raten. Jungfrau?«
»Und wie!« Er winkte ab. »Um mit einer Frau Sex haben zu können, muss man erst mal mit ihr reden. Und bei mir scheiterte es meistens schon daran, mit ihr ins Gespräch zu kommen.«
»Mit dieser Sammlung an Hobbys? Wer hätte das gedacht?«
»Ich weiß.«
»Und was hat
Weitere Kostenlose Bücher