Das Gluehende Grab
auf.
Stefán musste sich eingestehen, dass das nicht der einzige
Grund war, warum er dorthin wollte. Der Arzt hatte erwähnt,
der Körper der Frau sei außergewöhnlich stark
kosmetisch korrigiert – eine Formulierung, die Stefán
erst nach näherer Erläuterung verstand. Stefáns
Frau redete ständig davon, dass sie sich den Busen
vergrößern lassen wollte, und es drängte ihn
einfach, sich einen solchen Busen einmal näher anzuschauen.
Vielleicht gab er ihr dann ja grünes Licht?
6
SAMSTAG
14. JULI 2007
Die einzigen
Gäste bei der Preisverleihung am Samstagmorgen waren die
Kinder, die den Sieg davongetragen hatten, und deren Eltern.
Sóley saß zwischen ihrer Mutter und ihrem Bruder Gylfi
und grinste bis über beide Ohren. Der Wettbewerb war Teil der
Kulturwoche der Stadtbibliothek und bestand darin, ein Bild von
einem Haushaltsgerät zu malen, das der Familie den Alltag
erleichterte. Sóley hatte einen ganzen Nachmittag lang
eifrig gemalt. Zu Dóras großer Verwunderung hatte ihre
Tochter dann den Wettbewerb gewonnen, obwohl sie bisher nur
begrenztes Talent im künstlerischen Bereich an den Tag gelegt
hatte. Die Siegerin in der höchsten Altersgruppe ging mit
einem kleinen Blumenstrauß und einem Gutschein des Sponsors,
der größten Elektrokette des Landes, wieder zu ihrem
Platz. Als Nächstes rief die Bibliothekarin Sóley auf,
die mit geröteten Wangen nach vorn ging.
»Herzlichen
Glückwunsch zum ersten Preis«, sagte die Bibliothekarin
und schüttelte Sóleys kleine Hand. Sie zeigte auf das
Bild, das zusammen mit den anderen eingereichten Kunstwerken an
einer Stellwand hing. Es waren allerdings nicht besonders viele,
wie Dóra schon vermutet hatte, als sie gehört hatte,
dass Sóley die Siegerin war. »Ich muss sagen, ein
kunstvoll gemaltes Bild von einem Bügeleisen«, sagte die
Bibliothekarin, während sie Sóley einen großen
Umschlag und einen Blumenstrauß überreichte. {50
}Dóra hob die Augenbrauen. Warum hatte Sóley ein
Bügeleisen gemalt? Ihr Ex-Mann hatte es nach der Scheidung
mitgenommen, weil Dóra für ihre Klamotten
überhaupt keines brauchte. Sie hatte starke Zweifel daran,
dass Sóley überhaupt wusste, wie ein solches Gerät
aussah. Aber obwohl sie keine Vorlage gehabt hatte, war es ihr
wirklich gut gelungen. Dóra blickte stolz von dem Bild zu
ihrer Tochter – die stand mit den Preisen im Arm neben der
Bibliothekarin und starrte ihre Zehenspitzen an. Sie war kurz
davor, in Tränen auszubrechen.
»Das ist
kein Bügeleisen. Das ist ein Schlitten!« Sóley
knabberte an ihrer Unterlippe.
Nun
errötete die Bibliothekarin zur Abwechslung ein wenig, rettete
sich aber gerade noch aus der Misere und sagte, sie hätte sich
versprochen. Gylfis Lachanfall machte die Sache auch nicht gerade
besser. Als sie anschließend vor dem Bild standen, kicherte
er immer noch.
»Sieht
voll aus wie ein Bügeleisen«, sagte er. »Warum
wolltest du eigentlich einen Schlitten malen? Das ist doch kein
Haushaltsgerät.«
Dóra
kam ihrer Tochter zu Hilfe. »Doch, doch, auf dem Land gelten
Schlitten als Haushaltsgeräte.« Sie drückte ihrer
Tochter, die immer noch niedergeschlagen war, die Hand.
»Hör nicht auf ihn. Gylfi hat überhaupt keine
Ahnung, wie Schlitten aussehen.« Dasselbe traf offenbar auf
Sóley zu. »Zur Feier des Tages lade ich euch zu einem
Eis ein.« Sie betrachtete die anderen Bilder.
»Sóley, deins ist am allerschönsten.
Wirklich!«
»Nee, es
ist hässlich. Ich hätte doch eine Tür malen
sollen.«
Dóra
würde ihrer Tochter in einer ruhigen Minute die Bedeutung des
Wortes Haushaltsgerät erklären. »Ach was, du hast
nicht ohne Grund gewonnen. Das ist das allerbeste Bild.« Sie
gab Sóley einen Kuss auf die Stirn und warf ihrem Sohn einen
bösen Blick zu, als er gerade wieder losprusten wollte.
»Tu mir einen Gefallen und such mir ein Buch über den
Vulkanausbruch auf den Westmännerinseln raus«, bat sie
ihn. So käme Gylfi auf andere {51 }Gedanken, und ihr konnte es
nicht schaden, sich etwas ausführlicher über die
Ereignisse des Jahres 1973 zu informieren.
Dóra
beendete das Gespräch mit Bragi, dem Mitinhaber der Kanzlei,
und seufzte vernehmlich. Sie war erschöpft nach diesem Tag,
der völlig anders verlaufen war als geplant. Markús
hatte angerufen, er war erneut verhört worden, diesmal unter
dem Verdacht der Mitschuld am Tod Aldas und der Männer im
Keller. Markús’ Anruf war ein Hilferuf gewesen, und
Dóra war, anstatt mit ihren Kindern ins
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