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Das Gluehende Grab

Das Gluehende Grab

Titel: Das Gluehende Grab Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yrsa Sigurdardottir
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aufrechtzuerhalten. Wenn sie ihm abriet, könnte
er meinen, sie hätte kein Interesse mehr an ihm. Dóra
war sich schon lange im Klaren darüber, dass ein
zukünftiger Lebenspartner im selben Land leben musste wie sie.
Deshalb hing ihre Beziehung von seiner Entscheidung ab. Sie hoffte,
dass er käme, denn sie mochte ihn und genoss ihr Zusammensein.
Außerdem gab es einen gewissen Mangel an ansehnlichen
Männern im passenden Alter. Dóra gefiel keiner, dem sie
in der letzten Zeit begegnet war, noch nichtmal nach dem
fünften Glas. Diejenigen, die sie interessierten, waren
entweder viel zu jung, schon vergeben oder schwul. Vielleicht gab
es ja auf den Westmännerinseln ein Überangebot an
Männern. Man konnte immerhin davon träumen, und Bellas
Begleitung konnte diesbezüglich nicht schaden. Im Vergleich zu
ihr sah Dóra aus wie ein Playboy-Covergirl. Sie wischte
diese Überlegungen beiseite und wählte die Nummer der
Sekretärin.
    Sóley
war eingeschlafen. Da nichts Vernünftiges im Fernsehen lief,
begann Dóra, das Buch Denkwürdige Ereignisse
1971–1975 aus der Reihe Unser Jahrhundert
durchzublättern. Sie hatte die Sammlung von ihrem
Großvater geerbt, und obwohl sie die Bücher {54 }nicht
oft nutzte, hatten sie sich als gute Nachschlagewerke erwiesen. Der
Band war nicht dick und sicher keine erschöpfende Darstellung
der damaligen Ereignisse, aber vier verschollene Männer
hätten bestimmt Erwähnung gefunden. Dóra
überflog das Jahr 1973 bis zum Sommer, als der Vulkan endlich
versiegt war. Markús’ Elternhaus war zwar schon
während des ersten Monats verschüttet worden, aber
Dóra wollte auf keinen Fall etwas übersehen und
blätterte bis zu der Überschrift Vulkanausbruch geht zu
Ende! vom vierten Juli.
    Sie fand kaum
etwas, das mit den Leichen im Keller zu tun haben könnte. Das
Flugzeug Vor stürzte Ende März mit fünf Mann an Bord
nördlich des Gletschers Langjökull ab, aber ein
Rettungstrupp fand das Wrack und die Passagiere. Sie waren alle
tot. Ende Januar wurde das britische Segelboot Cuckoo mit vier Mann
Besatzung vermisst. Es hatte Mitte des Monats von
þorlákshöfn abgelegt und war danach nicht mehr
gesichtet worden. Ein paar Seiten weiter stand, dass Schiffsreste
sowie Körperteile eines Besatzungsmitglieds an Land
gespült worden waren. Man ging davon aus, dass das Boot mit
Mann und Maus in einem Unwetter gesunken war. Erst weiter hinten im
Buch wurde Dóra wieder aufmerksam. Eine sechsköpfige
Bergsteigergruppe verschwand nach dem Abmarsch in Landmannalaugar.
Es handelte sich um vier ausländische Geologen und zwei
isländische Bergführer, die sich in der Gegend
hervorragend auskannten. Dóra brauchte sich gar nicht erst
den Kopf darüber zu zerbrechen, wie ein Teil der Gruppe in
einem Keller auf den Westmännerinseln Zuflucht vor einem
Unwetter auf dem Festland gesucht haben könnte, denn auf der
nächsten Seite stand schon, dass die Männer
erschöpft und unterkühlt in einer Hütte im Hochland
gefunden worden waren. Sie hatten sich in einem plötzlich
einsetzenden Schneesturm verlaufen und diese Hütte
zufällig entdeckt. Dóra fand einen weiteren Eintrag
über Verschollene, die nie geborgen wurden. Im Februar
kenterte die      
     
    Sjöstjarnan
vor der Südostküste mit zehn Mann Besatzung. Die Seeleute
konnten sich auf zwei {55 }Schlauchboote retten, tauchten aber nie
wieder auf. Es waren fünf Isländer und fünf
Färinger, neun Männer und eine Frau. Markús’
Elternhaus war allerdings vermutlich schon verschüttet, als
das Schiff ziemlich weit von den Westmännerinseln entfernt
sank. Enttäuscht blätterte Dóra weiter, bis sie
auf einen interessanten Eintrag stieß. Es ging um die
große Zahl ausländischer Journalisten, die nach Island
kamen, um über den Vulkanausbruch zu berichten. Aber
natürlich stand dort nichts darüber, dass einer von
ihnen, geschweige denn gleich vier, verschwunden waren. Es
wäre sicher aufgefallen, wenn fest angestellte Reporter nach
ihrem Islandtrip nicht wieder nach Hause gekommen wären
– bei Freiberuflern sah die Sache vielleicht anders
aus.
    Im
ersten Halbjahr 1973 war ansonsten kaum etwas geschehen, das den
Leichenfund hätte erklären können. Das beherrschende
Thema war der Kabeljaukrieg, aber nirgends ein Wort darüber,
dass im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen zwischen
Großbritannien und Island wegen der Ausweitung der
Fischereigrenze von zwölf auf fünfzig Seemeilen
Männer verschwunden oder über Bord gegangen

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