Das Gluehende Grab
des
Flughafengebäudes, wo diese an einem Denkmal zur Erinnerung an
den Islandbesuch von Gorbatschow und Reagan lehnte und Rauchwolken
in die Luft blies. »Komm. Wir verpassen sonst echt den
Flieger.«
»Der
wartet«, entgegnete Bella überheblich, drückte aber
dennoch ihre Kippe aus. Sie zeigte auf das Denkmal und die
dazugehörige Inschrift. »Was sind das eigentlich
für Typen?«
»Komm
schon.« Dóra hatte nicht die geringste Lust, das
Mädchen über die Hintergründe des Staatsbesuchs
aufzuklären. »Irgendwelche Typen, die nicht mehr wichtig
sind.« Dóra hastete ins Gebäude und hielt Bella
sogar die Tür auf. Sie waren die Letzten, die die Maschine
bestiegen und ihre Plätze einnahmen. Sobald Dóra den
Sicherheitsgurt angelegt hatte, holte sie die Bücher
hervor.
»Was’n
das?« Bella starrte die bunten, etwas mitgenommenen
Büchlein verwundert an und hob ihre dunkel nachgezogenen
Augenbrauen. »Tagebücher? Als Kind hatte ich auch so
was. Wem gehören die?«
»Ach,
ich muss das kurz durchsehen. Ist nichts Besonderes.« Beim
ersten Buch hatte sie damit den Nagel auf den Kopf getroffen. Es
stammte aus dem Jahr 1970 und war völlig belanglos. Aldas
Schrift war eine typische Kleinmädchenschrift: große,
runde Buchstaben mit vereinzelten Herzchen auf dem »i«.
Die Abstände zwischen den Einträgen betrugen oft eine
ganze Woche.
Dóra
klappte das Buch zu und steckte es hinter die anderen. Schnell fand
sie das Tagebuch von 1973: Es war am besten erhalten, und als sie
es aufschlug, knackte der Buchrücken. Dóra
blätterte zur ersten Seite und las einen Eintrag vom
Neujahrstag 1973. Alda hatte fünf Vorsätze für die
kommenden zwölf Monate notiert. Dóra musste beim Lesen
lächeln:
1.
ins Ausland fahren 2. mehr
lernen 3. einen
Plattenspieler kriegen 4. einen Freund
kriegen 5. nicht mehr an
die Haare denken – die wachsen wieder
Der letzte
Punkt war unverständlich, aber der Rest passte genau zu einem
fünfzehnjährigen Mädchen, das die ersten Schritte in
der Welt der Erwachsenen machte. Heutzutage hätte die Liste
besser zu einer Dreizehnjährigen gepasst, aber 1973 lief die
Zeit noch langsamer. Dóra las weiter, dass die Eltern nach
dem Silvesterfest nicht aus dem Bett gekommen waren und dass sich
die kleine Schwester immer noch vor den Raketen fürchtete, die
noch toller waren als im letzten Jahr. Dann kam eine kurze Passage,
in der Alda ihre Besorgnis über die Vögel und Tiere auf
der Insel beschrieb, was ihre Begeisterung für die
Raketenknallerei wieder ein wenig dämpfte. Der Eintrag endete
mit dem Wunsch, jeder Tag möge so spannend werden, dass er
einen Eintrag in dem neuen Tagebuch verdiene.
Weiter ging es
mit Beschreibungen aus diesem längst vergangenen Januar. Die
Schule fing nach den Weihnachtsferien wieder an, worüber sich
Alda keine Sorgen machte, sie freute sich sogar darauf: Sie war in
einen gewissen Stebbi verliebt und glaubte, dass es auf
Gegenseitigkeit beruhte. Markús schien sie nur als Kumpel zu
interessieren. Dóra konnte nicht herauslesen, ob dem
Mädchen klar war, wie sehr er sie mochte – alle
Einträge über ihn waren positiv und rein
freundschaftlich. Der 15. Januar war ein wichtiger Tag: Alda
küsste Stebbi zum ersten Mal vor einem Kiosk. Die Seite war
voller Herzchen und Blümchen. Der nächste Tag war nicht
ganz so glücklich, denn die Katze verschwand, was an den
darauffolgenden Tagen eine dramatische Zuspitzung erlebte, bis sie
nach langem Suchen endlich wiedergefunden wurde. Ab und zu machte
sich Alda Gedanken über ihre Haare, was Dóra ebenso
wenig verstand wie den Vorsatz an Neujahr. Vermutlich hatte sie
sich eine Kurzhaarfrisur schneiden lassen und war unzufrieden mit
dem Ergebnis.
Zu
Beginn der dritten Januarwoche war Alda sehr aufgeregt wegen eines
anstehenden Schulfestes. Dort war anscheinend etwas Wichtiges
geplant, was Alda nicht näher beschrieb, das sie aber zugleich
herbeisehnte und fürchtete. Es war etwas, an dem {136 }alle
Klassenkameraden beteiligt waren, aber Dóra fand nicht
heraus, worum es ging. Beim Eintrag vom 19. Januar zuckte
Dóra zusammen. Oben stand das Datum, aber der Rest der Seite
war so heftig mit einem Kugelschreiber durchgestrichen und
zerkritzelt, dass das Papier fast zerrissen war. Es musste etwas
passiert sein. Dóra konnte nicht erkennen, ob unter dem
Gekritzel etwas gestanden hatte. Sie legte das Buch in den
Schoß.
»Was ist
denn das für’n Mist?« Bella tippte mit dem
Zeigefinger auf die Kritzelei. »Da
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