Das Gluehende Grab
du.«
»Dann
gibt es doch bestimmt einen Hafen.«
»Ja,
aber das hat trotzdem auf keinen Fall was mit der Mafia zu
tun«, sagte Dóra nachdrücklich. Sie hatte Fotos
von den Westmännerinseln aus der Zeit des Vulkanausbruchs
gesehen – ein Mafioso im dunklen Anzug mit Zigarre im Mund
wäre da genauso deplatziert gewesen wie ein Astronaut in
voller Montur. »Damals hat allerdings ein Kabeljaukrieg
zwischen Island und Großbritannien getobt, aber das war kein
Krieg im herkömmlichen Sinne.«
»Solche
Dinge gibt es übrigens auch bei Hassmorden, wenn jemand aus
rassistischen, religiösen oder sexuellen Gründen
tötet. Könnte das zutreffen?«
»Ich
weiß es einfach nicht«, antwortete Dóra.
»Die Leichen sind leider Gottes noch nicht identifiziert
worden. Ich hoffe, es dauert nicht mehr lange, ich stecke
nämlich wirklich in einer Sackgasse.«
»Wie dem
auch sei, Dóra«, Matthias holte kurz Luft,
»für so eine Tat braucht es unglaublichen Hass und
Grausamkeit. Es gefällt mir gar nicht, dass der Mörder
noch am Leben sein könnte. Wer auch immer dafür
verantwortlich ist, wird nicht begeistert sein, wenn jemand in der
Vergangenheit herumwühlt.«
Dóra
versuchte, einen leichteren Ton anzuschlagen. »Ach was, der
Täter ist schon längst unter der Erde oder im Altersheim.
Mach dir um mich keine Sorgen.«
Matthias
schwieg einen Moment. »Hass vergeht nicht. Solcher Hass
nicht, Dóra. Sei vorsichtig.«
Nach dem
Gespräch saß Dóra eine Weile da und starrte in
die Luft. Sie versuchte, sich vorzustellen, wie sie einem Mann den
Penis abschnitt und ihm in den Mund stopfte. Sie schaffte es nicht.
Matthias hatte recht. Diese Tat zeugte von unglaublichem Hass; ein
Hass, der jegliche Moral abtötete. Aber was um alles in der
Welt konnte der Grund für einen solchen Hass sein?
15
MITTWOCH
18. JULI 2007
An
der Rezeption war niemand, um den Schlüssel entgegenzunehmen.
Auch Bella war nirgends zu sehen, also schickte Dóra ihr
eine SMS, sie solle sich beeilen, wenn sie das Flugzeug erwischen
wolle. Dóra hatte nicht die geringste Lust, den ersten Flug
nach Reykjavík zu verpassen. Zu Hause und im Büro gab
es einiges zu tun. Sie knallte den Schlüssel geräuschvoll
auf den Empfangstresen, aber nichts geschah. Daraufhin drückte
sie kräftig auf die altmodische Klingel. Prompt kam die junge
Frau, die offenbar Tag und Nacht an der Rezeption arbeitete, mit
einem Lächeln auf den Lippen und kümmerte sich um
Dóra. Von Bella immer noch keine Spur. Hatte sie gestern
Abend etwa schon wieder einen draufgemacht und lag schlummernd mit
einem Seemann im Bett? Dóra schaute auf ihre Armbanduhr.
Noch gab es keinen Grund zur Panik. Sie ließ sich in einen
Sessel fallen und griff nach den Zeitungen von gestern.
Urplötzlich
erschien auf einmal Aldas Schwester Jóhanna in der
Hoteltür und kam auf Dóra zu. Dóra legte schnell
die Zeitung beiseite und begrüßte
sie.
»Hallo«,
entgegnete Jóhanna vollkommen außer Atem und
schüttelte locker Dóras Hand. »Ich dachte schon,
ich hätte dich verpasst. Du nimmst doch die erste Maschine,
oder?«
»Ja.«
Dóra schaute wieder auf die Uhr. »Meine
Sekretärin hat {131 }sich etwas verspätet, sonst
wäre ich schon am Flughafen. Gibt’s was
Bestimmtes?«
»Ich hab
gestern Abend was rausgesucht. Nach unserem Gespräch habe ich
viel über Alda und das, was du über die Leichen gesagt
hast, nachgedacht. Falls meine Schwester umgebracht wurde, werde
ich alles dafür tun, dass der Mörder ausfindig gemacht
wird.« Sie reichte Dóra eine Plastiktüte.
»Deshalb hab ich hiernach gesucht. Ich möchte, dass du
dir das ansiehst.«
Dóra
nahm verwundert die Tüte entgegen. Darin befanden sich
fünf kleine Büchlein. Sie blickte wieder zu
Jóhanna. »Was ist das?«
»Alda
hat immer Tagebuch geschrieben. Die Bücher lagen bei meinen
Eltern in der Abstellkammer. Unser Haus wurde damals nicht komplett
zerstört und ist wieder ausgegraben worden. Nach dem Tod
meines Vaters hat meine Mutter erfolglos versucht, es zu verkaufen.
Ich hab ihr geholfen, die Sachen durchzusehen, dabei hab ich die
Bücher zusammen mit anderen Sachen von Alda gefunden. Ich
wollte ihr die Tagebücher letztes Wochenende geben.« Sie
lächelte unsicher. »Meine Mutter ist in Reykjavík
und weiß nicht, dass ich sie an mich genommen habe.
Vielleicht erinnert sie sich gar nicht mehr
daran.«
Dóra
wäre der Frau am liebsten um den Hals gefallen, hielt sich
aber zurück. Ihr war klar, dass sie die
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