Das göttliche Mädchen - Carter, A: Das göttliche Mädchen
nachdenklich.
„Tja“, murmelte er, nachdem er geschluckt hatte. „Sieht aus, als hättest du jetzt offiziell ein Date mit dem Teufel.“
Ich stöhnte.
Als ich nach der letzten Stunde zu meinem Auto ging, holte James mich ein. Aus den Kopfhörern um seinen Hals dröhnte Musik, aber wenigstens hielt er die Klappe. Ich war immer noch sauer, weil er mir nicht geholfen hatte. Deshalb wartete ich, bis wir amWagen waren, bevor ich ihn zur Kenntnis nahm.
„Hab ich was verloren?“, fragte ich, da mir nichts Besseres einfiel, um mich noch klarer auszudrücken. Ich wollte nicht mit ihm reden.
„Was? Nein, natürlich nicht. Wenn’s so wäre, würd ich’s dir zurückgeben.“ Seine Verwirrung irritierte mich. Verstand er mich wirklich nicht?
Den Schlüssel bereits im Schloss, wartete ich ab und fragte mich, wie lange das wohl noch dauern würde. War es nur am Anfang so, oder musste ich diese Aufmerksamkeit ertragen, bis mein Status als spannendes neues Spielzeug verblasst war? Den gesamten Tag lang war ich angestarrt worden, aber außer James, Dylan und Ava hatte mich niemand angesprochen. Das über-raschte mich nicht. Hier kannten sich alle von Kindesbeinen an. Die Cliquen hatten sie wahrscheinlich schon seit der Vorschule gebildet. Für mich war hier kein Platz, das war mir klar. Und es war vollkommen in Ordnung für mich.
„Ich geh nicht mit Jungs aus.“
Die Worte waren mir rausgerutscht. Doch jetzt, nachdem ich es gesagt hatte, musste ich weitermachen.
„Das hab ich nicht mal zu Hause in New York gemacht. Ich … ich tu’s einfach nicht. Das ist nichts Persönliches. Ich will mich hier nicht rausreden. Aber ich mein das ernst – ich geh nicht mit Jungs aus.“
Statt enttäuscht oder gar niedergeschmettert zu Boden zu blicken, starrte James mich aus großen blauen Augen ausdruckslos an. Während die Sekunden verstrichen, spürte ich, dass meine Wangen warm wurden. Offensichtlich war ein Date mit mir das Letzte gewesen, was er im Sinn gehabt hatte.
„Ich find dich hübsch.“
Ich blinzelte. Vielleicht hatte ich mich doch nicht geirrt.
„Aber du bist auf einer Skala von eins bis zehn mindestens eine Acht – und ich eine Vier. Wir dürfen gar nicht miteinander ausgehen. Das würde gegen alle Regeln der Gesellschaft verstoßen.“
Mit kritischem Blick versuchte ich herauszufinden, ob er dasernst meinte. Er sah nicht aus, als würde er Witze machen. Au-ßerdem starrte er mich wieder so an – als würde er tatsächlich auf eine Antwort warten.
„Eine Acht?“, platzte ich heraus. Etwas anderes fiel mir nicht ein.
„Vielleicht sogar eine Neun, wenn du dich schminkst. Aber ich mag Achten. Achten lassen sich ihr Aussehen nicht zu Kopf steigen. Anders als Neunen. Und eine Zehn hat keine Ahnung, wie sie es jemals anstellen sollte, was anderes als eine Zehn zu sein – wie Ava.“
Er meinte es ernst. Ich drehte den Schlüssel im Türschloss und wünschte, ich hätte ein Handy. Dann hätte ich so tun können, als würde mich jemand anrufen. „Äh, ja … Danke.“
„Keine Ursache.“ Für einen Moment hielt er inne. „Kate? Kann ich dich was fragen?“
Ich biss mir auf die Unterlippe, um mich davon abzuhalten, ihn darauf hinzuweisen, dass er das gerade getan hatte. „Klar, schieß los!“
„Was hat deine Mutter?“
Ich erstarrte und bekam ein beklommenes Gefühl in der Magengegend. Für einige Augenblicke sagte ich gar nichts, doch James schien auf eine Antwort zu warten.
Meine Mutter und ihre Krankheit waren das Letzte, wor-über ich reden wollte. Es fühlte sich falsch an, damit hausieren zu gehen. Als würde ich sie überall herumreichen. Und selbstsüchtig, wie ich war, wollte ich sie ganz für mich haben in diesen letzten Tagen, Wochen, Monaten – wie lange auch immer uns blieb. Ich wollte, dass diese Zeit nur ihr und mir gehörte. Sie war keine Freakshow, niemand, den alle anstarren konnten, oder ein saftiges Stück Klatsch, über das sie sich die Mäuler zerreißen durften. Ich würde ihnen das nicht erlauben. Niemals würde ich zulassen, dass das Andenken meiner Mutter beschmutzt wurde.
James lehnte sich an mein Auto, und ich sah Mitgefühl in seinen Augen aufflackern. Ich hasste es, bemitleidet zu werden. „Wie lange hat sie noch?“
Ich schluckte. Dafür, dass er null Sozialkompetenz besaß, war ich für ihn wie ein verdammtes offenes Buch. Vielleicht war es aber auch einfach so offensichtlich. „Die Ärzte haben ihr noch sechs Monate gegeben, als ich in die Highschool
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