Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)

Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)

Titel: Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gerit Bertram
Vom Netzwerk:
Freude und Dankbarkeit. Sie lächelte, während sie ihrem Ziel mit jeder Meile näher kamen.
    Dunkelheit senkte sich über das Land. Vor ihnen ragten endlich die Mauern von Magathaburg auf. Karol trieb seine Rösser mit der Peitsche an, sodass die Kalesche nur so über die unebene, staubige Landstraße dahinflog. Neben dem Gefährt drückten Mariusz und Roman mit angestrengten Mienen ihren Pferden die Sporen in die Flanken.
    Wenig später rollte die polnische Kalesche über das Pflaster einer breiten Straße auf eine mächtige Kathedrale zu, deren Türme sich augenscheinlich noch im Bau befanden. Auf dem ausgedehnten Domplatz konnte Karol die Kutsche abstellen, und gleich gegenüber lud ein durch das Fenster eines Gasthauses fallendes Öllampenlicht sie zum Eintreten ein. Eine weitere Etappe ihrer Reise hatten sie geschafft, doch der größte Teil – die Fahrt durch die Weiten des polnischen Reiches – lag noch vor ihnen.
    Lübeck
    Die junge Frau saß auf dem Bett. Die Luft in der Hütte war schwer vom Schweiß ihres Freiers. Sie blickte zum Fenster, von dem ein schmaler Lichtstrahl hereinfiel und ihr das Gesicht wärmte. Mit geschlossenen Augen ließ sie ihre Gedanken in die Vergangenheit wandern. Manchmal musste sie an das Kind denken, das sie unter dem Herzen getragen hatte, damals, als man sie angeklagt und verurteilt hatte. Als der Büttel sie endlich losgebunden hatte und sie sich mit weichen Knien hatte davonschleppen wollen, rann plötzlich etwas Warmes, Klebriges an den Innenseiten ihrer Schenkel hinab – Blut, das sich zu ihren Füßen sammelte. Während sie noch darauf starrte, ließ ein erneuter Schmerz, der ihr Innerstes zu zerreißen schien, sie auf das Pflaster sinken. Im nächsten Augenblick quoll etwas zwischen ihren Beinen hervor, ein rosiges Etwas, kaum ausgebildet, und dennoch deutlich als menschliches Wesen zu erkennen.
    Sie schrie auf, und mehrere Leute, die bereits im Begriff waren zu gehen, drehten sich noch einmal um. Niemals würde sie den erschreckten Ausdruck in den aufgerissenen Augen einiger Frauen vergessen, als ihre Blicke sich auf das Kind geheftet hatten, das leblos in einer Blutlache auf dem Pflaster lag. Sie wäre verblutet, hätte der Fiskal nicht einen Medicus rufen lassen. Das Kind war nur wenige Wochen alt. Sein Kind. Das Kind des Mannes, der sie ein »dummes Weibsstück« nannte, als sie gegen ihn aussagte. Der Mord an seinem Bruder war ihm nicht nachgewiesen worden, doch für seine schändlichen Geschäfte, den Handel mit jungen Frauen, halben Kindern noch, hatte man ihn in den Turm geworfen. Sollte er doch dort verrotten.
    Vielleicht war es gut so, dass sie das Kind verloren hatte. Wo hätte sie es zur Welt bringen sollen? In einer der schmutzigen, engen Hütten in der Gropengrove der ach so prächtigen Hansestadt vielleicht? Was hätte sie mit einem schreienden Balg anfangen sollen? Sie zog die Beine an, bettete den Kopf auf die Knie und stöhnte. Der Mann, der erst vor wenigen Minuten gegangen war, hatte sie hart rangenommen. Ihr Leib war wund von ihm. Nein, eine wie sie sollte kein Kind haben. Sie konnte sich ja selbst gerade so über Wasser halten, indem sie von Zeit zu Zeit in Alheyds Hütte für einen Kerl die Beine breitmachte oder sich am Hafen im Schatten eines Schuppens von einem der Seeleute oder Werftarbeiter stoßen ließ. Von Männern, die weder ihren Namen noch ihre Vergangenheit kannten. Männer, für die Frauen wie sie zu nichts anderem taugten, als ihnen abzuhelfen, wenn die Geilheit sie überkam.
    Was war nur aus ihr geworden? All ihre Träume und Hoffnungen auf ein besseres Leben waren zerstoben, geplatzt wie die durchsichtigen Blasen aus Seifenlösung, die Kinder mit einem Strohhalm in die Luft pusteten. Sie dachte zurück an die Zeit, bevor ihre Welt aus den Fugen geraten war, damals, als sie in der Goldspinnerei der Bremers gearbeitet hatte, zusammen mit Johannes, dem Gesellen, und Minna, der alten Lohnarbeiterin. Eine schöne Zeit.
    Zuweilen war der Bruder ihres Herrn in die Werkstatt gekommen und hatte ihr zugezwinkert. Wie dumm sie gewesen war! Geschmeichelt hatte sie sich gefühlt, weil er ihr schöne Augen gemacht hatte, der feine Herr. Rosig waren ihre Träume gewesen. Sie hatte geglaubt, er werde für sie und das gemeinsame Kind sorgen. Ja, und wenn er von seiner farblosen Gemahlin die Nase voll hätte, würde er sie vielleicht bevorzugen. Sie schnaubte. Wahrscheinlich hatte er sie von Anfang an bloß für seine finsteren Pläne benutzt.

Weitere Kostenlose Bücher