Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
wenn sie sich vorstellte, mitten in diesem dunklen Wald ihr Nachtlager aufschlagen zu müssen. Mariusz, Roman und der Kutscher würden sich ihrer Haut zu wehren wissen und nicht zulassen, dass ihr und Elisabeth etwas geschah. Dennoch, wohl war ihr nicht. Cristin zog den Mantel enger um sich. Rasch wurde es finster, und schließlich hielt Karol die Pferde an und stieg vom Kutschbock.
Er trat an den Rand der Kalesche. »Frau Agnes, es hat keinen Zweck«, erklärte er. »Schon bald werde ich die Hand nicht mehr vor Augen sehen. Wir können erst morgen früh weiterfahren.«
Die beiden Brüder, die hinter der Kutsche geritten waren, stiegen ab. Mariusz nickte Elisabeth zu, die furchtsam in die sich ausbreitende Dunkelheit starrte.
»Hab keine Angst, Roman und ich passen auf dich auf«, versprach er dem Kind. »Auf dich und deine Matka .«
Von ferne drang ein nicht enden wollendes Geräusch an Cristins Ohren. Es war ein lang gezogenes Heulen aus einer Tierkehle, das der Wind zu ihnen herübertrug. Sollte es in dieser Einsamkeit wirklich ein Dorf oder ein Gehöft geben?
Mariusz hatte ein Feuer entzündet. Sein Bruder saß mit angezogenen Knien neben ihm und hielt die zweite Nachtwache. Während Cristin in die Dunkelheit hinter den niedrig brennenden Flammen starrte, erklang weiteres Geheul. Eine zweite Tierstimme schien der ersten zu antworten. Leise öffnete sie den Wagenschlag und trat hinaus auf den Weg. Cristin spürte, wie sich die feinen Härchen auf ihren Armen aufrichteten. Neben Roman ging sie in die Hocke.
»Was ist das?«
» Wilk «, war seine knappe Antwort. »Ein Wolf.«
Mein Gott! Ein Zittern überlief ihren Körper. Hastig blickte sie zurück zu Elisabeth. In eine Decke gekuschelt lag das Mädchen in tiefem Schlaf.
Cristin hatte von diesen Raubtieren gehört, die in den Wäldern nach Beute jagten, nie allein, sondern stets im Rudel und deshalb so erfolgreich. Es hieß, sie rissen nicht nur Schafe, Rinder und Schweine, sondern griffen auch Menschen an. Sie krallte die Finger in den Stoff ihres Mantels. Hatte der Leibhaftige seinen Gehilfen Isegrim gegen sie ausgesandt, weil sie der gottesfürchtigen Jadwiga beistehen wollte? Wie als Antwort auf ihre Befürchtungen ließ sich ein weiteres Tier hören, sein Heulen schallte durch die Stille des nächtlichen Waldes.
Auch Mariusz und Karol waren inzwischen erwacht und richteten sich auf ihren Decken auf, die sie neben der Kutsche ausgebreitet hatten. Roman erhob sich, klaubte ein paar Zweige zusammen und warf sie in das Feuer. Sein Bruder griff nach dem Schwert, das neben ihm auf dem Boden lag. Im Feuerschein konnte Cristin die zusammengekniffenen Lippen und das bleich gewordene Gesicht des Wächters erkennen.
Eine Zeit lang war alles ruhig. Nur ab und zu raschelte es im Unterholz rechts und links der Kalesche.
»Ich glaube, sie haben sich verzogen«, meinte Karol nach einer Weile. »Ich übernehme die nächste Wache.«
»Gut. Wenn du etwas Verdächtiges bemerkst, weck uns sofort«, antwortete Mariusz.
Die Brüder ließen sich wieder auf ihren Decken nieder. Cristin kletterte zurück in die Kutsche und legte sich gegenüber von Elisabeth auf eine der beiden Bänke. Doch zur Ruhe kam sie nicht, denn das Bild eines vierbeinigen Dämons stand ihr vor Augen, das Maul mit den spitzen Reißzähnen weit aufgerissen, um sie zu verschlingen. Ihr Herz pochte viel zu schnell.
Ein Geräusch wie von raschelndem Stoff und eine Bewegung nahe dem Feuer ließen sie hochfahren. Cristin hob den Kopf von dem zusammengerollten Mantel. Mit angehaltenem Atem spähte sie in die Richtung, aus der sie die Laute vernommen hatte. Aber es war nur der Kutscher, der sich vom Feuer entfernte und ein paar Schritte ins Unterholz machte. Kurz darauf hörte sie ihn seine Notdurft verrichten. Erleichtert wollte Cristin sich wieder niederlegen. Da ließ ihr nur einen Herzschlag später ein tiefes Knurren das Blut in den Adern stocken.
Es folgte ein unterdrückter Fluch Karols, der mit einem Satz zum Feuer zurückwich. Roman und Mariusz griffen nach ihren Schwertern und sprangen auf die Füße. Ein kehliges Knurren, diesmal hinter ihr. Cristin fuhr herum, blickte über den Kutschenrand. Zwei bernsteinfarbene Augen waren direkt auf sie gerichtet, und die junge Frau unterdrückte einen Schrei. Sofort war einer der Brüder an ihrer Seite. Sie sah sich angstvoll um. Den im Schein des Feuers leuchtenden Augenpaaren nach musste es sich um eine Gruppe von drei oder vier Wölfen handeln. Mariusz
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