Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
zu haben, musste sein Gewissen furchtbar belasten.
»Ich danke Euch, mein Freund«, rief sie gegen den zunehmenden Wind an, der feine Schneeflocken mit sich brachte.
Landsberg wandte den Kopf. »Danken? Wofür?«
» Ihr habt es für uns getan, nicht wahr? Wärt Ihr allein gewesen, so hättet ihr gewiss eingegriffen, um die Frau zu befreien. Doch unsere Sicherheit war Euch wichtiger.«
» Euch entgeht wahrlich nichts«, erwiderte Bastian. »Hinter Eurem hübschen Aussehen verbirgt sich ein scharfer Verstand.«Sein Lächeln war dünn.»Soll ich Euch sagen, wie es um uns Menschen bestellt ist? Sobald uns Gefahr droht, ist es vorbei mit der christlichen Nächstenliebe.« Sein Blick verdüsterte sich. »Lippenbekenntnisse, Cristin, nichts als Lippenbekenntnisse. Ich wollte meine Haut retten, weil ich ein Feigling bin, ein Hasenfuß wie die meisten Menschen.«
Sie wollte widersprechen, doch was sollte sie auf seine bitter hervorgestoßene Antwort entgegnen?
Dann war der Moment gekommen, Abschied zu nehmen. Auf dem ausgedehnten Platz außerhalb der Stadtmauer hielt Baldo den Wagen an, und Cristin und er kletterten vom Kutschbock. Auch Landsberg stieg vom Rücken seines Reittieres.
»Wann werden wir uns wiedersehen?«, fragte Cristin, während die kräftigen Hände des Freundes die ihren umschlossen und der Bernsteinhändler ihr fest in die Augen sah.
»Das weiß nur …«
»… der Herr«, nickte sie. »Wie kommt es bloß, dass ich keine andere Antwort von Euch erwartet hätte, mein Freund?«
Landsbergs ergriff Baldos Rechte. »Ich schlage vor, wir sehen uns im Sommer. Dann habe ich gewiss wieder einige schöne Bernsteine für Euch, mein Freund. Außerdem möchte ich natürlich auch das neue Familienmitglied begrüßen. Passt gut auf Euch auf.« Er wies auf Cristins Leib. » Gott mit Euch beiden.«
»Und mit Euch.«
Eine letzte Umarmung, ein letztes Schulterklopfen, dann stieg der Bernsteinhändler auf sein Maultier und ritt davon.
Polen
Die Tatsache, dass Piet auf seinen früheren Reisen große Teile des polnischen Königreiches kennengelernt hatte, kam den Cygani nun zugute und machte Joschka die Entscheidung leicht, wer mit ihm zusammen den Zug anführen sollte. Ihr erstes großes Ziel war die Stadt Bresslau, die sich nach Piets Erinnerung etwa zwanzig Meilen westlich von Czechstochova befand. Für diese Strecke brauchten sie wegen der vielerorts gefrorenen Straßen mindestens eine Woche, hatte er ausgerechnet.
Obwohl sich Marianka und Piet den Kalderash erst vor wenigen Wochen angeschlossen hatten, kam es ihm inzwischen vor, als würde er Joschka und Tamina, Arva, Velky und die anderen Mitglieder der Gruppe schon seit Ewigkeiten kennen. Besonders Joschka und Arva waren ihm gute Freunde geworden. Piet hatte erfreut festgestellt, dass auch Tamila und Marianka sich gut verstanden, trotz der Unterschiede zwischen ihnen, die größer kaum sein konnten. Die eine, schon als Kind Waise und nie jemals irgendwo sesshaft geworden. Die andere behütet in einem Elternhaus mit mehreren Brüdern aufgewachsen, die ihre große Schwester abgöttisch liebten.
So, wie er seine Schwester liebte. Der Gedanke, dass Cristin etwas Schreckliches zustoßen könnte, verfolgte ihn nicht nur des Nachts, sondern holte ihn auch tagsüber immer wieder ein. Doch so sehr er sich auch bemühte, es gelang ihm nicht, weitere Bilder heraufzubeschwören, die ihm einen Hinweis darauf gaben, wer ihr derartig Angst einjagte und wo seine Schwester sich aufhielt.
Bis Piet eines Nachts aus unruhigem Schlaf erwachte und die Lider aufschlug. Schwindel, so stark, als säße er in einem sturmgepeitschten Boot, befiel ihn. Dieses Gefühl kannte er. Um ihn war tiefschwarze Nacht. Längst hatte einer der Kalderash das Feuer gelöscht, aus den Wagen und von den Lagern um ihn herum drang Schnarchen an sein Ohr. Vorsichtig, um Marianka nicht zu wecken, wollte er sich aufrichten, doch jäh erfasste ihn erneuter Schwindel, und er sank zurück auf sein Lager. Piet wartete, bis sich die Nebel vor seinen Augen lichteten.
Das vertraute Bild seiner Schwester drängte sich ihm auf. Er wartete, bis diese Eindrücke verebbten. Irgendetwas stimmte nicht, auch wenn er nicht auszudrücken vermochte, was es war. Piet fluchte leise, und sein Herz machte einen schmerzhaften Satz. Dabei hielt sie sich doch in Hamburg in der Spinnerei auf, Baldo war bei ihr, und nichts ließ darauf schließen, dass ihr Gefahr drohen könnte. Umso erleichterter war er nun, dass Marianka und
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