Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
uns.«
Der Priester versetzte der Alten einen heftigen Stoß. Die Frau stürzte auf das Pflaster und schrie auf, was einige der Schaulustigen mit gehässigem Gelächter quittierten.
»Los!«, hörte Cristin den Kleriker rufen. »Auf Knien sollst du einmal um das Haus des Herrn rutschen.«
Jemand reichte ihm eine lange Rute. Er ergriff sie, holte aus und ließ sie auf den schmalen Rücken der Frau niedersausen. Wieder schrie sie auf, setzte sich aber in Bewegung, begleitet von weiteren Hieben und den Rufen der Menge, die sich an den Qualen der auf Händen und Knien über die Steine rutschenden Frau weidete.
»Wie schrecklich!«, entfuhr es Cristin.
Eine in einen teuren Fuchsfellmantel gekleidete Frau neben ihr musterte sie. » Habt Ihr etwa Mitleid mit diesem Weib? Die Ketzerin kann froh sein, wenn unsere geistlichen Herren sie nicht den Flammen übergeben! Man weiß doch, was diese Teufel im Verborgenen treiben!«
» Ihr nennt sie Teufel?«
» Wie soll man sie sonst nennen? Wie der Herr, so sein Gescherr! Wisst Ihr etwa nicht, was bei deren Zusammenkünften geschieht? Orgien feiern sie, nackt, wie unser Herrgott sie schuf. Die Weiber brauen ekelhafte Tränke und geben sie all jenen zu trinken, die noch nicht zu ihnen gehören, damit sie vom wahren Glauben abfallen und sich diesen Ketzern anschließen!«
» Schweigt«, stieß Bastian hervor. »Ihr wisst nicht, was Ihr da redet.«
» Hört, hört.«Die Frau spie die Worte förmlich aus. »Habt Ihr vielleicht mit dieser Brut zu tun?«
Inzwischen waren einige der Umstehenden auf sie aufmerksam geworden und drehten die Köpfe. Cristin sah, dass Landsberg zu einer scharfen Antwort ansetzte, daher legte sie ihm die Hand auf den Arm und bedeutete dem Freund zu schweigen.
» Komm«, vernahm sie Baldos Stimme hinter sich. Er zog sie fort und wandte sich dann Bastian zu. »Lasst uns hier verschwinden.«
» Ich soll meine Schwester im Stich lassen?«, brachte Landsberg tonlos hervor. »Eine treue Gefährtin, die ihren Glaubensgeschwistern ihr Lebtag lang Gutes getan hat?«
» Wir können es nicht riskieren, ihr zu helfen«, unterbrach Baldo. »Sie sind zu viele. Oder wollt Ihr ebenfalls auf allen vieren um die Kirche kriechen oder gar als Märtyrer sterben?«
» Mein Mann hat recht«, flüsterte Cristin dem Freund ins Ohr. »Wir brauchen Euch, Bastian.«
Sie konnte ihm an den scharf hervortretenden Wangenknochen ansehen, wie viel Kraft es ihn kostete, die Frau ihrem Schicksal zu überlassen. Cristin und Bastian, der den Kopf gesenkt hatte, wollten Baldo folgen.Da hallte ein triumphierender Schrei über den Platz.
» Das Licht scheint in der Finsternis!«
Cristin fuhr herum.
» Schweig, Ketzerin! Wie kannst du es wagen, das heilige Wort des Herrn in deinen sündigen Mund zu nehmen!«
Die Frau hatte sich aufgerichtet und sah ihrem Peiniger furchtlos in das vor Wut verzerrte Gesicht. Die Zeit schien stillzustehen. Auch die gaffende Menge hielt den Atem an. Da holte der Priester aus und versetzte der Alten einen Schlag mit der Rute, der sie mitten ins Gesicht traf. Die Frau stöhnte auf.Cristins Blick flog zu Bastian, der sich versteift hatte.
»Bitte nicht«, flehte sie, doch schon trat er vor, um sich an ihr vorbei durch die Umstehenden zu drängen und auf den Priester zu stürzen.
Zwei kräftige Hände legten sich um seine Oberarme und hielten ihn fest umklammert.
» Egal, was hier geschieht«, zischte Baldo. »Ihr werdet jetzt mit uns zurückkommen, und wir verlassen diese Stadt. Habt Ihr mich verstanden?«
Einige Herzschläge vergingen, bis Bastian langsam nickte. »Ihr könnt mich loslassen.«
Er folgte seinem Begleiter zu den Wagen und sah Cristin an.
»Lux lucet in tenebris «, kam es tonlos von ihm. Noch immer wirkten seine Züge wie versteinert. »›Das Licht scheint in der Finsternis‹. Dieser Vers aus dem Evangelium des Apostels Johannes ist die Losung der Waldenser. Daran erkennen wir einander in jedem Land.«
Ohne ein weiteres Wort schritt er an Baldo vorbei und stieg auf sein Maultier.
Nur das Knarren der Räder und das gelegentliche Schnauben der beiden Tiere unterbrachen die Stille, während sie auf das Stadttor zusteuerten. Cristin warf dem neben ihnen reitenden Freund einen verstohlenen Blick zu. Wie musste Bastian sich fühlen, nachdem er eine Glaubensschwester ihrem Schicksal überlassen hatte? Der Mann war von sanftem Gemüt und sein Herz erfüllt von dem Bedürfnis, seinen Mitmenschen helfend zur Seite zu stehen. Nicht eingegriffen
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