Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
näherten.
Als sie das Zugpferd auf das offen stehende Stadttor zutrieb, verschlug es ihr einen Moment lang schier den Atem. Die mächtige Mauer war höher als jede andere Stadtbefestigung, die Cristin auf ihren Reisen bisher gesehen hatte. Sie musste mindestens sechs Manneslängen hoch sein. Doch ihr blieb nicht viel Zeit zum Staunen, denn schon traten die Zöllner an den Wagen. Nachdem sie die Stadtmauer passiert hatten, hielt Cristin den Wagen auf einem Marktplatz an und wandte sich zu Baldo um, der mit angezogenen Beinen und zum Schutz gegen den kalten Wind in zwei Decken gehüllt hinter ihr saß.
»Liebling, ich werde nach einer Badestube fragen«, rief sie. »Dort können wir uns aufwärmen. Danach fahren wir weiter nach Altenburg.«
Mit einem Nicken bedeutete Baldo ihr seine Zustimmung, denn ein weiterer Hustenanfall plagte ihn. Cristin kletterte vom Kutschbock und machte ein paar Schritte auf einen gut gekleideten Mann zu, der soeben auf einen prächtigen Schimmel aufsitzen wollte.
»Gott zum Gruße, mein Herr. Könnt Ihr mir helfen?«, sprach sie ihn an. »Wir suchen eine Badestube.«
»Einen Bader findet Ihr unweit der Lateinschule«, erklärte er, wünschte ihr noch einen schönen Tag und ritt davon.
Sie ging zum Wagen zurück und blickte über die Seitenwand. Baldo hatte die Arme um den Oberkörper geschlungen, seine Zähne schlugen klappernd aufeinander.
»Höchste Zeit, dass wir uns aufwärmen«, murmelte Cristin besorgt. Sie strich dem Zugpferd über die breite Stirn und stieg zurück auf die Sitzbank.
In einer gewundenen Gasse hinter dem Bau, der die Lateinschule beherbergte, fand sie schließlich das Haus des Baders. Cristin half Baldo vom Wagen herab und betrat mit ihm eine schmale Diele, in der ihnen ein Männlein entgegentrat. Sein dünnes Haar hatte es aus der Stirn nach hinten gekämmt.
»Seid Ihr der Bader?«, wollte Cristin wissen.
Der Alte bejahte.
»Mein Mann ist völlig durchgefroren. Erhitzt bitte genügend Wasser, damit er sich aufwärmen kann. Habt Ihr getrocknete Kräuter?«
»Thymian und Rosmarin.«
»Tut reichlich davon ins Wasser. Es soll Euer Schaden nicht sein.«
»Wie Ihr wünscht, Herrin«, nickte der Alte mit einem Blick auf Cristins Leib. »Wollt Ihr auch …?«
»Ja. Und nun eilt Euch.«
Der Bader hatte den Zuber bis zur Hälfte mit heißem Wasser aufgefüllt. Tief sog Cristin den wohltuenden Duft der hinzugefügten Kräuter ein. Ihre Hände und Füße waren eiskalt und stachen nun, da sie ins warme Wasser eintauchten, wie tausend Stecknadeln. Ihr Rücken schmerzte, aber was nützte es, zu klagen?
Baldos Zustand besserte sich allmählich, und das Fieber sank glücklicherweise, doch zum Lenken des Fuhrwerkes war er längst noch nicht kräftig genug. Sie warf ihm einen nachdenklichen Blick zu. Er hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Schatten zeichneten sich unter seinen Augen ab, und sein schmal gewordenes Gesicht wirkte ausgezehrt. Baldo musste ihren Blick bemerkt haben, denn er wandte sich ihr zu. »Mach dir bitte keine Sorgen. In ein paar Tagen bin ich wieder ganz der Alte«, erklärte er, um sich kaum einen Augenblick später unter einem neuen Hustenanfall zu krümmen.
»Ja, das sehe ich.« Sie fuhr ihm mit den Fingern durch das dichte, feuchte Haar. »Die Kräuterdämpfe werden dir helfen. Hab nur ein wenig Geduld.«
Der Bader steckte den Kopf zur Tür herein. »Möchtet Ihr, dass ich Euren Gatten nach dem Bad noch schröpfe? Es wird seiner Durchblutung guttun.«
Cristin warf Baldo einen fragenden Blick zu. Er nickte.
»Gut, dann erhitze ich inzwischen die Schröpfköpfe.«
Der Mann schloss die Tür, und Cristin hörte ihn nebenan mit seinen Utensilien hantieren.
Als das Wasser abkühlte, stiegen die beiden aus dem Zuber, trockneten sich ab und gingen hinüber in den Raum, wo ihre Sachen lagen. Rasch kleidete Cristin sich an, während Baldo in seine Bruche schlüpfte.
Im Behandlungszimmer nebenan wartete der Bader bereits auf sie und forderte Baldo auf, sich bäuchlings auf eine Bank zu legen. Cristin ließ sich auf einen Schemel nieder und sah zu, wie der Mann nacheinander ein halbes Dutzend der irdenen, über einem offenen Herdfeuer erhitzten Gefäße auf Baldo Rücken ansetzte. Einst war ihr allein beim Anblick von Schröpfköpfen speiübel geworden, erinnerte sie sich. Doch das war lange her. Sie stand auf und trat an ein kleines Fenster aus gelb gefärbtem Glas.
»Wie weit ist es bis Lipzic, Herr Bader?«, fragte sie, ohne sich
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