Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
bewegt.«
»Das müssen seine Hände sein. Pass auf. Wenn du ganz stillhältst, kannst du vielleicht …«
Eine Weile wurde es ruhig zwischen ihnen, dann nahm Baldos Miene einen überraschten Ausdruck an.
»Wie kräftig es ist!« Sein Blick drang forschend in ihren. »Was ist mit dir, Cristin? Tun dir die Bewegungen weh?«
Ihre Augen füllten sich mit Tränen. »Nein, Liebling. Aber ich habe das Reisen so satt. Ich bin müde und sehne mich nach unserem eigenen Bett. Ich möchte aufwachen und die Vögel in unserem Garten zwitschern und Elisabeths Stimme hören. Und das Klappern von Geschirr, wenn Minna das Frühstück zubereitet.« Sie wischte sich über die feuchte Wange.
Baldo beugte sich zu ihr hinunter und nahm ihr Gesicht in seine Hände. »Nur noch wenige Tage und wir sind zu Hause. Ab morgen werde ich den Wagen wieder lenken, und du machst es dir bequem, hast du mich verstanden?«
Sie nickte und ließ zu, dass er sie innig küsste.
Am nächsten Morgen bekam der Rappe erst noch neue Eisen, dann brachen sie auf. Als die Sonne aufging, hatten sie die Stadt bereits hinter sich gelassen. Cristin beobachtete, wie der Tag allmählich erwachte, und fühlte, wie ihr Herz schneller schlug, während sie sich Stund um Stund ihrer Heimat näherten.
31
Hamburg
L iebling, wach auf! Wir sind kurz vor Hamburg!«, drang Baldos Stimme durch die Nebel des Schlafes, in den sich Cristin hatte gleiten lassen, nachdem der Wagen endlich aus Lüneburg hinausgerollt war. »Dort ist bereits die Roggenkiste. «
Cristin schlug die Augen auf. Tatsächlich, kaum mehr als eine Viertelmeile vor ihnen konnte sie die Silhouette des Winserturms ausmachen – die Roggenkiste , wie die Hamburger den schmucklosen Turm nannten. In den vier Stockwerken saßen die Verurteilten in kleinen Verschlägen bei Wasser und Roggenbrot ihre Strafe ab. Unter dem Dach, in der sogenannten Tollkiste , waren die Wahnsinnigen untergebracht, wie Ludewig ihr erzählt hatte. Unwillkürlich schauderte es sie, wenn sie daran dachte, was innerhalb dieser Mauern so alles geschehen mochte. Cristin fror erbärmlich. Während Baldo den Wagen über die aufgeweichte Straße auf die Stadtmauern zulenkte, griff er nach ihrer Hand.
»Bald sind wir da, Liebes.«
Wenig später passierten sie die breite Brücke, die sich über die zugefrorene Elbe spannte, und fuhren auf das Winsertor zu. Er lenkte das Pferd zwischen den beiden mächtigen Türmen hindurch und kurz darauf über den Fischmarkt, vorbei am Heringshaus und den Schusterbuden, in denen an diesem Abend niemand seinen Geschäften nachging. Sie bogen in die Bäckerstrate ein, die auf den Dom zuführte. Auf dem von einer dünnen Schneeschicht bedeckten Platz vor St. Marien standen einige Männer und Frauen, die wohl in der Messe gewesen waren.
Als Baldo und Cristin an ihnen vorüberfuhren, schien es der Schwangeren, als würde eine der gut gekleideten Frauen ihr einen nachdenklichen Blick zuwerfen. Aber da waren sie auch schonvorüber und rollten durch das Viertel um St. Jakobi, wo die Fuhrleute, die Handwerker und die Wirte der zahllosen Pilgerherbergen wohnten.
Endlich bogen sie in die Breite Strate ein. Cristins Herz schlug höher, während sie die Gasse hinunterfuhren, der Goldspinnerei und ihrem Hause zu. Und dann sah sie es: Zwischen den beiden Gebäuden links und rechts des roten Backsteinhauses, das Baldo und sie vor über einem Jahr gekauft hatten, klaffte eine breite Lücke, nichts als ein kaum mannshoher Haufen Schutt und Holzbalken war mehr zu sehen. Cristin schlug die Hand vor den Mund, um den Schrei, der sich in ihrer Kehle formte, zu unterdrücken. Sie hörte, wie ihr Mann scharf die Luft einsog. Elisabeth!, durchfuhr es sie im nächsten Moment. Sie spürte, wie Baldo nach ihrem Arm griff und sie davor bewahrte, vom Kutschbock zu stürzen.
»Was ist hier geschehen?« Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
Bewegungslos starrte er auf einen Haufen Steine und schwarzer Holzbalken, die wie Geisterhände aus der verbrannten Erde herausragten , während große Schneeflocken aus den tief hängenden Wolken herabwirbelten und den kläglichen Rest des Hauses gnädig bedeckten. Es war Cristin, die sich als Erste aus der Erstarrung löste. Ein Beben überlief ihren Körper, und sie strich über ihren gewölbten Leib.Wo waren Elisabeth und Minna?
Sie schnappte nach Luft, um den Druck zu lindern, der ihre Brust mit eisernen Reifen zu umklammern schien. Mühsam kletterte sie von dem Wagen und trat näher
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