Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
wandte den Kopf und sah zum Fenster hinaus. Der Wind wirbelte dicke weiße Flocken umher und trieb sie gegen die Scheibe.
»Seht nur, es schneit. Und bitterkalt ist es auch.« In ihren Augen war ein eisiges Funkeln, so eisig wie die Schneeblumen am Fenster. »Da scheucht man nicht mal einen Hund vor die Tür. Aber wer schert sich schon um eine kleine Lohnarbeiterin, noch dazu um eine, die am Kaak gestanden hat, nicht wahr?«
Unter dem Tisch ließ Lump ein tiefes Knurren hören.
Cristins Hände bebten, doch ihre Stimme blieb fest . »Wenn du nicht augenblicklich mein Haus verlässt, rufe ich die Büttel!«
»Oh, jetzt macht Ihr mir aber richtig Angst. Na gut, wie Ihr wollt.«
Doch schon im nächsten Augenblick überlegte Mirke es sich anders. Warum sollte sie es dieser Person so leicht machen? Wer hatte nach ihr gefragt, als sie am Boden gelegen hatte?
»Aber, Frau Schimpf, nun regt Euch doch nicht gleich so auf, das tut Euch in Eurem Zustand gewiss nicht gut. Hättet Ihr vielleicht einen zweiten Becher für mich?« Sie seufzte. »Ich fange gerade erst an, mich aufzuwärmen, wisst Ihr?«
Cristin Schimpf trat einen Schritt vor. »Nein, Mirke, es reicht! Geh jetzt bitte und wage nicht, hier noch einmal aufzukreuzen!«
Etwas im Inneren der jungen Frau zerbarst. Mit einem Ruck erhob sie sich und trat auf ihre frühere Herrin zu. Mit einem Seitenblick registrierte sie jedes Detail in der Küche. Die Feuerstelle und die Küchenspinde. Der Krug mit gewürztem Wein auf dem Schrank, ein hölzernes Brett, auf dem ein Messer lag.
Im nächsten Moment machte sie einen Satz darauf zu, ergriff es und wirbelte herum.
»Bist du von Sinnen?«, schrie Cristin.
Mirke stand vor ihr, einer Furie gleich. Ihre Augen hatten einen unnatürlichen Glanz, und das junge Gesicht war zu einer hässlichen Fratze verzogen. »Wie schnell Ihr ein neues Zuhause gefunden habt, nachdem Euer Haus niedergebrannt ist!«
Eine plötzliche Erkenntnis befiel Cristin und ließ ihr eine Gänsehaut über den Rücken laufen. » Du bist das gewesen«, kam es tonlos von ihren Lippen. »Du hast unser Haus und die Werkstatt angezündet.«
»Wie schlau Ihr doch seid!« Wie Gift tropften die Worte von Mirkes Lippen.
Cristin spürte Übelkeit in ihrer Kehle aufsteigen. »Mein Kind wäre beinahe verbrannt … mein Kind und Minna! Du musst wirklich von Sinnen sein!« Ihre Stimme war nur noch ein heiseres Flüstern.
Allein die auf sie gerichtete Klinge des Messers verhinderte, dass sie sich auf die Frau stürzte, die ihr mit einem triumphierenden Lächeln auf dem Gesicht gegenüberstand.
Diese trat einen Schritt vor. »Knie nieder und sprich ein Gebet, du eingebildete Kuh!«
»Was?«
»Du sollst beten! Bitte Gott, die Heilige Jungfrau und alle Heiligen um Verzeihung für all das Leid, dasdu mir angetan hast. Vielleicht verschone ich dich dann.« Mirkes Lippen verzogen sich. »Vielleicht …«
Cristin sog scharf die Luft ein. Die Spitze des Messers war keine Handbreit mehr von ihr entfernt. »Bitte!Sei vernünftig.«
»Auf die Knie, sag ich. Oder willst du, dass ich nachhelfe?«
»Ich bitte dich, denke an mein ungeborenes Kind.« Cristins Knie wurden weich.
»Ach ja?«, zischte Mirke. »Wer hat denn an mein ungeborenes Kind gedacht? Kein Hahn hat danach gekräht, als man mich an den Pranger band.«
»Niemand … niemand hat von dem Kind gewusst.«
»Na und?« Mirkes Augen sprühten vor Zorn. »Was habe ich denn schon verbrochen? Auf deinen feinen Schwager bin ich hereingefallen, das war meine einzige Schandtat. Im Höllenfeuer soll dieses Schwein für alle Ewigkeit brennen!«
»Lynhard hat mir weitaus mehr angetan als dir!«
»Soll ich etwa Mitleid mit dir haben? Ihr Bremers seid mein Unglück! Und jetzt bitte Gott um Vergebung für deine Schuld!«
Erneut wallte Übelkeit in Cristin auf, plötzlicher Schwindel erfasste sie und ließ sie wanken. Mit einem Keuchen streckte sie die Hand aus, um sich am Küchentisch festzuhalten. Ein tiefes Knurren erklang, gefolgt von Mirkes Aufschrei.
»Ruf die verdammte Bestie zurück!«
Der Boden unter Cristins Füßen schien sich zu heben, dann gaben ihre Beine unter ihr nach, und sie griff ins Leere. Einfürchterlicher Schmerz durchzuckte ihren Hinterkopf. Das Letzte, was sie wahrnahm, bevor es dunkel um sie wurde, war das gequälte Aufjaulen des Hundes.
»Bannig kalt heute«, hörte Baldo Minna murmeln, als er den Wagen am Rödingsmarkt vorbeilenkte.
Er nickte und bog in die Deichstrate ein, an deren Ende,
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