Das Gold der Lagune: Historischer Roman (German Edition)
einem pochenden Schmerz hinter den Schläfen kroch sie täglich vor Sonnenaufgang aus der Schlafstatt, um Elisabeth zu versorgen, bevor sie die Goldspinnerei öffnete. Baldo sah es mit Sorge, doch Cristin versicherte ihm, die Übelkeit werde bald vergehen.
Auch an diesem Morgen saß sie in ihrer Werkstatt und arbeitete. Gerade als sie die letzten Stiche am Kragen eines Umhanges ausführte, fing Lump zu winseln an. Cristin blickte auf. Baldo betrat die Werkstatt, näherte sich mit großen Schritten und wedelte mit einem verschnürten Päckchen. Sein Gesicht war unnatürlich bleich. Sie ließ den Umhang sinken. Entgegen seiner Gewohnheit, schenkte Baldo der überschwänglichen Freude seines Hundes keine Beachtung. Wortlos legte er das in festes Leder verschnürte Paket auf die Bank neben Cristin ab.
»Was ist denn los? Hast du etwa einen Geist gesehen, Liebling?«
Baldo setzte sich auf einen Schemel. »So etwas Ähnliches, ja.«
»Ich verstehe kein Wort.«
Er wies auf das Bündel. »Dies ist … es ist vom Wawel. Von Jadwiga.«
»Das kann nicht sein, Baldo. Du musst dich irren!«
»Oh nein.«
Dann begann er stockend zu sprechen. Von seiner Fahrt zum Hafen, wo er Leinen und Wolle hatte kaufen wollen.
»Das weiß ich alles«, unterbrach Cristin ihn ungeduldig. »Aber woher hast du das Paket?«
Er schien durch sie hindurchzusehen, wischte sich Schweißperlen von der Stirn. »Unterwegs bin ich einem Reiter begegnet. Er trug das polnische Wappen auf seinem Mantel. Ich sprach ihn an, ob ich ihm helfen könne.«
»Und?« Cristin musterte ihren Mann beunruhigt.
»Er suchte unsere Goldspinnerei.«
Es hatte sich herausgestellt, dass der Bote von König Jagiello persönlich beauftragt worden war, das Bündel bei ihnen abzugeben. Als letzten Gruß seiner verstorbenen Gemahlin. Cristin stockte der Atem. Unfähig, auch nur eine Silbe hervorzubringen, blickte sie zu Baldo auf.
»Hörst du? Sie hat dir etwas hinterlassen.«
Cristin wartete, bis die Betäubung allmählich aus ihren Gliedern wich, und nahm das Paket entgegen, das Baldo ihr reichte.
»Pack es aus.«
Zaghaft löste sie die Verschnürung und faltete das Leder auseinander. Zum Vorschein kamen zwei ineinandergerollte Pergamente. Im Inneren befand sich noch etwas. Cristin spürte, wie ihr das Blut in die Wangen schoss. Es handelte sich um einen hellen Leinenbeutel. Die Kordel, die ihn verschloss, trug ein rotes Siegel. Vorsichtig entfernte sie es, öffnete den Beutel und schüttelte den Inhalt auf ihre Handfläche. Drei in Gold gefasste Steine, jeder einzelne von der Größe eines Daumennagels, lagen vor ihr. Einer war schwarz wie Kohle, ein weiterer bestach durch seine hellviolette Farbe, während der letzte durchscheinend klar wie ein Bergsee im Sonnenlicht war.
»Sieh nur! Mein Gott!«
»Liebes, die müssen ein Vermögen wert sein!«, keuchte Baldo auf, während er die Schmuckstücke behutsam in die Hände nahm und sie mit großen Augen betrachtete. »Wo sollen wir sie nur aufbewahren?«
»Aufbewahren?«, wiederholte Cristin.
Er sah auf. »Ja, ohne in ständiger Furcht zu leben, sie könnten entdeckt und gestohlen werden.«
Sie konnte den Blick nicht von den Kunstwerken wenden. »Ich weiß es nicht, Baldo. Das kann ich unmöglich annehmen, verstehst du? Jadwiga beschämt mich.« Ihre Augen füllten sich mit Tränen.
»Doch, du kannst es annehmen«, widersprach er sanft. »Dir diesen Schmuck zu überlassen, war schließlich ihr ausdrücklicher Wunsch.«
Die junge Frau vergrub ihr feuchtes Gesicht an Baldos Schulter und atmete seinen vertrauten Duft ein, und er strich ihr über den Rücken. Einige Herzschläge lang standen sie reglos da. Als Cristin ihre Fassung zurückerlangte, betrachtete sie Jadwigas Geschenk, das nun auf einem Tisch lag. Das einfallende Dämmerlicht ließ die Edelsteine in Regenbogenfarben funkeln.
»Lies vor, Cristin«, bat Baldo leise an ihrem Ohr.
Sie atmete tief durch und löste sich aus seiner Umarmung. Nach einem Räuspern entrollte sie den ersten Pergamentbogen und hielt ihn dicht vor die Augen.
Liebste Freundin,
wenn dich diese Nachricht erreicht, werde ich nicht mehr auf dem Wawel weilen, sondern bereits bei unserem Herrn in der Ewigkeit sein. Für diesen Fall habe ich veranlasst, dass dir mein Schreiben zusammen mit dem Bündel überbracht wird.
Lange habe ich darüber nachgedacht, wie ich dir die Fürsorge und Freundschaft, die du mir stets entgegengebracht hast, vergelten kann. Da ich weiß, dass du die Edelsteine
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