Das Gold der Maori - Das Gold der Maori
schicken mich in die Kolonien?« Lizzie konnte es nicht glauben.
»Darauf wird’s hinauslaufen. Also richte dich drauf ein!«
»Aber kann man denn gar nichts machen? Wenn der Richter die Kinder sieht … Barmherziger Gott, es wird sich doch keiner mehr um die Kinder kümmern, wenn ich weg bin …«
Lizzie hatte nicht weinen wollen, sie hatte eigentlich eher versuchen wollen, zu lächeln. Aber jetzt rannen ihr doch die Tränen aus den Augen. Vor Australien fürchtete sie sich nicht wirklich. Es konnte nicht schlimmer sein, als es in London war. Aber Toby und Laura … und sieben Jahre … sieben Jahre Gefängnis – sie würde alt sein, wenn sie herauskam!
Der Anwalt zuckte die Schultern. Aber Lizzie war jetzt entschlossen, zu kämpfen. Sie zog ihr Hütchen aus der Tasche ihres Kleides.
»Hier, Sir! Ich hab kein Geld, aber Sie können das hier verkaufen!«
Der fadenscheinige Anzug des Anwalts sah aus, als stamme er ebenso vom Kleidermarkt wie Lizzies Sachen, und er war schlechter erhalten.
»Das bringt ein paar Pennys! Aber bitte gehen Sie in die Whitechapel Road und reden Sie mit meiner Freundin. Sie soll die Kinder ins Gericht bringen, sie soll für mich aussagen! Bitte! Sie sind doch mein Anwalt! Sie müssen mir helfen!«
Der Verteidiger nahm den Hut wortlos entgegen, klopfte den Staub ab und steckte ihn ein. »Ich seh, was ich tun kann«, sagte er, »aber versprechen kann ich nichts …«
Zumindest hielt der Mann Wort. Als Lizzie mit gefesselten Händen in den Gerichtssaal geführt wurde, saß Hannah mit versteinertem Gesicht im Zuschauerraum, die Kinder neben sich. Toby und Laura wollten Lizzie etwas zurufen, aber Hannah stieß sie rüde an. Lizzie erkannte jetzt auch Lucius neben ihrer Freundin. Sein Gesichtsausdruck verhieß nichts Gutes.
Der Gerichtsdiener nahm Lizzie die Fesseln ab und stieß sie auf die Anklagebank. Eingeschüchtert stand sie dem Richter gegenüber, der in seiner dunklen Robe und der weißen Perücke wie ein Wesen aus einer anderen Welt wirkte.
»Name?«, fragte der Protokollführer.
»Elizabeth Owens«, antwortete Lizzie leise.
»Geboren?«
»Im Jahr 1830, glaub ich.«
Der Richter runzelte die Stirn. »Wo?«
»In London, nehm ich an …«
»Gibt’s irgendetwas, das du sicher weißt?«, fragte der Richter sarkastisch.
Lizzie senkte den Blick. »Nein«, sagte sie dann.
»Mit Frechheit kommst du hier nicht weiter, Mädchen!«, rügte der Protokollführer.
»Ich bin nicht frech!«, verteidigte sich Lizzie. »Ich bin nur Waise. Obwohl ich auch das nicht genau weiß. Ich kenn selbst meinen Namen nicht, man nannte mich ›Owens‹, nach dem Mann, der mich bei der Polizei abgab. Er hätt mich auf der Cavell Street gefunden, sagte er. Ich glaub, das stimmt. Ich glaub, ich erinnere mich. Aber ich weiß es nicht sicher. Sie sagen, ich war so drei Jahre alt …«
»Nun, der Straße bist du ja treu geblieben«, bemerkte der Richter. »Hat man nicht versucht, dich im Waisenhaus zu einem besseren Menschen zu erziehen?«
»Doch, Sir«, antwortete Lizzie.
»Und?«, fragte der Richter. »Weshalb bist du dann hier?«
»Sie haben’s nur versucht, Sir«, antwortete Lizzie demütig.
Im Saal wurde gelacht.
Der Richter klopfte unwillig auf den Tisch. »Was soll das heißen, Mädchen?«
»Ich bin weggelaufen, Sir«, bekannte Lizzie. »Weil … ich wollte schon ein gutes Mädchen sein, aber ich wollte nicht dauernd Prügel kriegen. Ich war immer die Kleinste, Sir, ich bekam nicht viel zu essen … und jetzt … bitte, Sir, Sie müssen mir glauben. Ich stehl sonst nicht. Ich wollte anschreiben lassen, und ich wollte auch nur ein Brot … Bitte … Schauen Sie sich doch die Kinder an. Man sieht weiß Gott, dass die nichts zu beißen kriegen!«
Hannah schien bei diesem Ausbruch empört aufspringen zu wollen, aber jetzt ergriff erst mal Lizzies Anwalt das Wort.
»Euer Ehren, die Frau macht mildernde Umstände geltend. Sie hat das Brot nicht für sich gestohlen, oder zumindest nicht nur für sich, sondern für zwei hungernde Kinder, um die sie sich sorgt …«
»Die aber nicht ihre eigenen sind?«, fragte der Richter ungläubig.
»Nein, Euer Ehren, sie gehören zu einer Freundin, und die Familie ist anwesend. Wollt Ihr sie dazu hören, Sir?«
Der Anwalt wies auf Hannah, die sich jetzt nicht mehr bremsen ließ.
Sie sprang auf die Füße. »Das ist eine bodenlose Unverschämtheit, Euer … Herr … äh … Richter … der Polizei zu sagen, dass ich meine Kinder hungern lass! Ich musst
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