Das Gold des Columbus
werden seekrank. Und überhaupt schaut kein Herr einen Grumete an, die sind nur zum Arbeiten da und ansonsten Luft für die Vornehmen.
Aber Pablo wusste, dass er sich selbst etwas vormachte. Jeden Augenblick konnte der Dicke entdecken, wer da mit ihm an Bord war. Der Junge wollte sich erst gar nicht vorstellen, was dann mit ihm geschehen würde. Er musste einen Plan machen.
Er meldete sich freiwillig für die unbeliebte Hunde- und die Morgenwache, für die Arbeit an der Pumpe und im Laderaum. Er hatte ständig eine dicke Bürste in der Tasche, damit er sich auf den Boden hocken und den nächstbesten Teil des Schiffes damit polieren konnte.
Solange sie in der Nähe der Küste waren, verbrachte er Stunden im Mastkorb, um nach gefährlichen Riffen Ausschau zu halten, und als sie das offene Meer erreicht hatten, blieb er dort oben unter dem Vorwand, als Erster die Küste von Jamaica erspähen zu können. Außerdem versteckte er sein Bündel und eine Planke aus dem Laderaum hinter einigen Taurollen im Heck. Er wollte für einen plötzlichen Aufbruch vorbereitet sein. Jeden Morgen und jeden Abend sprach er ein Dankgebet zur Gottesmutter von Guadelupe, dass Don Henriquez ihn immer noch nicht bemerkt hatte.
Als die Insel endlich am Horizont auftauchte und langsam aus dem Wasser wuchs, frischte der Wind stark auf. Der schwarze Rumpf der Barkasse hob und senkte sich wie ein über Zäune und Hecken jagendes Pferd. Der Bug tauchte so tief in die Wellen, dass das Wasser hoch aufspritzte und das Deck überflutete. Ein Wolkenbruch rauschte wie eine Sturzflut vom Himmel.
Pablo stand breitbeinig an der Reling und betrachtete die Küste mit ihren grünen Hügeln, ihren turmhohen Bäumen, ihren sanft geschwungenen Buchten mit dem Saum aus weißem Sand. Und da - da waren die vier riesigen Palmen, die aussahen wie die Finger einer Hand! Hier waren sie vor zehn Monaten aufgebrochen! Davon hatte er geträumt! Und von Anacaona! Er hatte das Gefühl, als ob er nach Hause kommen würde.
Jemand taumelte gegen ihn, hielt sich an ihm fest und spuckte haarscharf an seinem Gesicht vorbei einen Schwall übel riechender Flüssigkeit. Pablo blickte zur Seite - und erstarrte. Der seekranke Passagier war Don Henriquez, jetzt nicht mehr rot, sondern grünlich weiß im Gesicht. Er würgte noch einmal und erbrach sich, aber er ließ Pablo nicht los. Er hatte ihn erkannt, das sah der Junge seinem Gesicht an.
»Wie heißt du?«, krächzte er. »Fernan.« Das war eine Lüge und Lügen war Sünde, aber Pablo brauchte jetzt einen kleinen Vorsprung.
Ein Brecher fegte über die Reling und brachte Don Henriquez ins Schwanken. Pablo riss sich los, rannte zum Heck und duckte sich hinter die Taurollen. Bei diesem Seegang würde der Dicke auf keinen Fall hinter ihm herkommen. Schnell jetzt, schnell! Mit zitternden Fingern zurrte Pablo sich sein Bündel fest um die Taille und lugte über die Taurollen. Don Henriquez torkelte auf die Kajüte zu.
Pablo sprang auf, legte sich mit dem Bauch über die Reling, schwang die Füße nach außen und tastete, bis er Halt auf dem umlaufenden schmalen Steg gefunden hatte. Er hielt sich mit einer Hand fest, griff mit der anderen nach der Planke in seinem Versteck und klemmte sie sich unter den Arm.
Ein Diener trat aus der Kajüte.
»Grumete Fernan sofort zu Don Diego«, schrie er.
Die Matrosen sahen sich verwundert an.
»Es gibt keinen Grumete Fernan!«, rief schließlich einer.
Der Diener verschwand in der Kajüte. Pablo konnte den Wutausbruch bis ins Heck hören, trotz pfeifenden Windes und klatschender Wellen.
»Wie heißt der Grumete mit den vielen Sommersprossen?« Der Diener kam sich sichtlich lächerlich vor.
»Das ist Pablo!«
»Unser Musterknabe!«
»Der sitzt wahrscheinlich wieder im Laderaum und wuchtet Kisten.«
Da rollte eine Woge heran. Pablo umklammerte sein Brett mit beiden Armen und stieß sich ab. Er landete auf dem Kamm der Woge, sauste in die Tiefe und wurde emporgehoben. Er ritt auf den Wellen! Der nächste Gipfel, das nächste Tal! Und weiter!
Jetzt war er vom Schiff aus schon nicht mehr zu sehen, hatte sich in einen Teil des schäumenden, wirbelnden Wassers verwandelt. Auf und ab und auf und ab! Er lag mit dem Bauch auf dem Brett, schwamm mit den Beinen und hatte überhaupt keine Angst. Denn die Wellen trugen ihn zum Strand. Auf und ab und auf und ab! Er schrie vor Begeisterung.
Einmal drehte er sich um und sah in der Ferne die Barkasse, die mühsam gegen den landwärts wehenden Wind
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