Das Gold des Columbus
schneller! Du bist ja so langsam wie ein Muli! Na los, wird’s bald!«
Die schaukelnden Gestalten hatten wieder feste Umrisse bekommen. Direkt vor Pablo hatten zwei ausgemergelte Eingeborene eine Hängematte mit einem dicken, rauchenden Spanier geschleppt. Der vorausgehende Diener hatte sich umgedreht und seinen Stock auf die nackte Schulter des ersten Trägers sausen lassen. Der Indianer war ins Taumeln geraten und fast in die Knie gebrochen.
»Hör auf mit dem Unsinn!«, hatte der Dicke in der Hängematte ärgerlich gerufen. »Sonst kommen wir ja nie weiter. Prügel ihn gefälligst erst, wenn wir zu Hause sind. Aber dann gründlich!«
Auf einmal war der Stock in Pablos Hand gewesen. Er hatte ihn dem Diener aus den Fingern gerissen und auf dessen Kopf geschmettert, sodass er zu Boden gegangen war. Mit dem scharfen Seemannsmesser, das immer in Pablos Gürteltasche steckte, waren die Schnüre der Hängematte mit wenigen Schnitten durchtrennt. Der Dicke war auf den Boden geplumpst, aber noch bevor er schreien konnte, hatte Pablo ihm sein eigenes Taschentuch in den schon aufgerissenen Mund gestopft.
»Rennt jetzt nicht!«, hatte er in der Sprache der Eingeborenen befohlen. »Geht ganz ruhig in die nächste Seitenstraße. Und dann verschwindet aus der Stadt und versteckt euch irgendwo.«
Aber gab es überhaupt ein Irgendwo?
»Paabloo! Paabloo! Wieso antwortest du nicht?«
Die Worte weckten ein Echo im Kopf des Jungen. Seine Stiefmutter hatte immer so nach ihm gerufen. Auch an dem Tag vor fast zwei Jahren, als alles angefangen hatte. Er hatte Fernan kennen gelernt und Señor Méndez. Und dann war die Nachricht von Miguels Gefangennahme gekommen.
Die Flamme einer Kerze hüpfte über die Schwelle seines Zimmers und schnitt einen kleinen Lichtkreis aus dem Dämmern. Die Schlagläden waren wegen der Mittagshitze geschlossen.
»Also hier bist du! Warum sitzt du so allein im Dunkeln? Hast du mich nicht gehört? Stell dir vor, dieser Hundsfott, dieser vermaledeite Gouverneur, dieser...« Kapitän Méndez unterdrückte mit Mühe weitere Schimpfwörter. »Er gibt uns kein Schiff! Er sagt, er hat Kranke und hundert andere Sachen und natürlich Gold, viel Gold, und die beiden Schiffe müssen umgehend zurück nach Spanien. Der Kerl hat mich wieder endlos warten lassen, aber dabei hab ich etwas erfahren, da wirst du staunen.«
Er unterbrach sich und sah Pablo erstaunt an. »Du sagst ja gar nichts.«
Pablo blickte starr geradeaus.
Kapitän Méndez hob die Kerze und leuchtete Pablo ins Gesicht. »Junge, was ist passiert?«
Pablo holte mühsam Atem. »Mein Bruder ist tot.«
Er hatte es ausgesprochen. Man konnte es aussprechen. Es waren nur vier Wörter. Mein Bruder ist tot.
Er war für Miguel auf Fahrt gegangen. Er hatte Todesgefahren und unsägliche Strapazen auf sich genommen. Es hatte Augenblicke gegeben, da hatte er sich den Tod gewünscht. Aber wenn alles überstanden war, da hatte er immer wieder gewusst, dass er am Leben bleiben musste, um Miguel freizukaufen.
Kapitän Méndez nahm ihn wortlos in die Arme und drückte ihn an sich. Pablo lehnte den Kopf gegen seine Schulter.
»Meine Frau ist tot und mein Sohn auch«, sagte der Kapitän leise. »Und ich lebe noch. Damals habe ich nicht geglaubt, dass ich es je überwinden würde. Aber ich lebe noch. Und jetzt habe ich dich und du hast mich.«
Auf einmal spürte Pablo, wie ihm die Tränen in die Augen schossen und über seine Backen liefen. Der harte, eisige Klumpen in seinem Inneren schmolz.
»Ich weiß noch, dass es damals am schlimmsten für mich war, wenn ich zu Hause saß und an nichts anderes denken konnte als an die beiden. Sobald ich etwas zu tun hatte, war die Trauer leichter zu ertragen.« Der Kapitän hatte still gewartet, bis Pablo aufhörte zu weinen. »Ich möchte dir einen Vorschlag machen. Ich werde mit den beiden Schiffen nach Spanien fahren und den Herrschern den Brief des Admirals bringen. Wahrscheinlich kann ich dort sofort ein Schiff mieten, jedenfalls eher als hier. Wenn du willst, kannst du mich begleiten. Aber ich habe heute erfahren, dass Gouverneur Ovando sich eine neue Bosheit ausgedacht hat. Er will eine Barkasse nach Jamaica schicken, die viel zu klein ist, um alle Männer aufzunehmen. Sie bringt nur eine Speckseite und ein Fässchen Wein und die besten Grüße des Gouverneurs. Und zwar überbracht von Diego de Escobar! Das ist ein alter Spießgeselle des Aufrührers Roldán. Der Admiral hatte den Kerl zum Tode verurteilt, aber
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