Das Gold des Columbus
Menschen schluchzten und weinten. Jedes Gesicht, das Fernan im Glitzern der Sterne erkennen konnte, war nass von Tränen.
»Hilf uns! Hilf uns!«, flehten die Kaziken.
»Hilf uns! Hilf uns!«, heulte das Volk.
Das Schluchzen verebbte, als der Admiral endlich auf das erhöhte Vorderschiff trat, begleitet von einem Fackelträger. Wieder flammte der rote Mantel auf.
»Ich habe lange bei meinem Gott für euch gebeten. Ich habe ihm in eurem Namen versprochen, dass ihr euch künftig an eure Verträge halten wollt. Ihr werdet uns immer gut behandeln und uns alles bringen, was wir brauchen. Deshalb wird Gott euch verzeihen. Und als Zeichen für seine Vergebung wird er euch den Mond zurückgeben.«
Während Fernan den letzten Satz übersetzte, erschien am Himmel eine schmale silberne Sichel, die sich unter dem Jubel der Indianer langsam verbreiterte.
Noch bevor sich die Versammlung aufgelöst hatte, keuchten schon die ersten Träger mit Lebensmitteln heran.
kapitel 15
P ablo! Paaablooo!« Die Stimme klang volltönend wie ein Jagdhorn und durchdrang mühelos alle Wände.
Der Junge kannte und liebte diese Stimme. In den zehn Monaten, die sie jetzt zusammen im Hause Colón verbracht hatten, war ihm Diego Méndez Vater, Bruder und Freund geworden. Trotzdem antwortete Pablo nicht. Er wollte niemanden sehen. Er konnte auch mit niemandem sprechen, nicht einmal mit Diego Méndez.
»Pablo! Paaablooo!«
Der Junge rührte sich nicht. Er saß in seinem Zimmer neben dem Innenhof, und ihm war, als ob das Leben seinen Sinn verloren hätte. Die Zukunft lag so dunkel und leer vor ihm wie die unbewohnten Räume um ihn herum.
Am Vormittag hatte ein Diener gemeldet, dass zwei große Schiffe mit spanischen Siedlern im Hafen eingetroffen waren. Kapitän Méndez war sofort zum Haus des Gouverneurs gelaufen, um ihn zu bitten, ihm eins der Schiffe für die Rettung des Admirals und seiner Leute zu überlassen.
Pablo hatte im Hafen die Ausschiffung der Kolonisten beobachtet, die in den Schaluppen an Land gebracht wurden, und hatte sich auf einmal in den Schlachthof von Sevilla versetzt gefühlt. Denn der war seit Menschengedenken einer der Lieblingstreffpunkte der Heerscharen von Besitzlosen und Landstreichern, die unablässig über die Straßen Spaniens zogen. Pablo hatte sich früher oft unter sie gemischt und ihren wilden Erzählungen zugehört - mit einer Mischung aus Bewunderung und Grauen.
Zu diesen Strömen von Bettlern gehörten eidbrüchige Studenten mit ihren Erziehern, abgerissene Edelleute, Soldaten ohne Sold, Hauptleute ohne Soldaten, gebrandmarkte Diebe und Wegelagerer, Schuldner, die ihren Gläubigern entfliehen wollten, Gatten, die ihre zänkischen Ehefrauen satt hatten, abgedankte Veteranen, geflohene Rekruten, Invaliden, Freudenmädchen, dem Kloster entsprungene Mönche, Waisenkinder, Abenteurer... kurz: Es war ein abgerissener Haufen, den seine Mutter im Celler nie geduldet hätte.
»Bin ich froh, dass ich endlich von dem Kahn herunter bin! Bei diesen Kerlen muss man sich als ehrlicher Mensch ja fürchten. Das ist der Schmutz und Abschaum Spaniens.«
Pablo war herumgefahren. Die Stimme kannte er doch! Das war Juan aus Sanlucar, Miguels Freund.
»Juan! Wo kommst du denn her?«
»Sieh einer an! Das Kiebitz-Ei!« Juan hatte ihm erfreut auf die Schulter geschlagen. »Direkt aus Sevilla komme ich. Will doch auch was von dem Gold einsacken, das hier auf der Straße liegt. Lebst du etwa in Santo Domingo?«
»Nein! Das heißt, ja. Aber nicht mehr lange. Wir warten nur auf ein Schiff. Erzähl ich dir später. Hast du was von Miguel gehört?«
Das Grinsen war von Juans Gesicht verschwunden und er hatte zögernd genickt.
Etwas in Pablos Bauch hatte sich zusammengeknotet. »Und?«
Juan hatte sich einen sichtlichen Ruck gegeben. »Was soll ich lange drum herum reden. Du musst es ja doch erfahren. Er ist tot.«
»Tot?« Pablo hatte das Wort in seinem Mund gespürt wie einen kalten Klumpen.
Juan hatte unglücklich genickt. »Ein Sklavenaufseher hat ihn erschlagen, weil er sich gegen seine Prügel gewehrt hat. Wir wissen’s von einem Kumpel von ihm, der ist freigekauft worden.«
Pablo hatte sich an Juans Arm festgeklammert. Das Gedränge um ihn herum war zu einem bunten Schwanken verschwommen, das Geschrei zu einem leisen Summen.
»Fall mir nicht um, Junge!«, hatte jemand dicht an seinem Ohr gesagt.
Und dann war eine zweite Stimme durch den Nebel in seinem Kopf gedrungen, eine schneidend scharfe. »Lauf endlich
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