Das Gold des Columbus
Bei einem Bruchteil dieser Arbeit fällt der Indianer um und stirbt. Und sie sind feige, wahrscheinlich hier genauso wie auf Española. Wir haben schon bei unserem Rückmarsch vom Dorf des Quibian keinen einzigen Eingeborenen mehr gesehen. Und alle Kanus mit Kriegern sind verschwunden. Morgen werden wir die Fahrten zu den Goldfeldern organisieren, Señor Méndez. Dass sie den Feinden des Quibian gehören, braucht uns nicht zu kümmern. Sie wissen jetzt, was geschieht, wenn man sich uns widersetzt. Sie werden gefangen genommen und als Geiseln nach Spanien gebracht.«
Ein Grauen erregendes Geheul ertönte. Pablo spürte, wie sich die Haare an seinen Armen aufrichteten. Einen Augenblick lang war er wie gelähmt vor Schreck. Dann sprang er auf. Die Fische, die er hatte fallen lassen, verbrannten zischend und stinkend in der Glut. Diego Méndez rollte aus seiner Hängematte. Bartolomé Colón beförderte seinen Schemel mit einem Fußtritt in die Hütte und griff nach seinem Handrohr.
Wieder ertönte das Geheul. In weniger als zwanzig Metern Entfernung standen auf einmal hunderte von indianischen Kriegern. Es sah aus, als ob sie aus dem Boden wachsen würden. Sie mussten sich, auf dem Bauch liegend, angeschlichen haben und sprangen jetzt in die Höhe.
»Alle Mann zum Zeughaus!«, brüllte der Adelantado. »Jeder bewaffnet sich! Die Kanoniere an die Kanonen!«
Zum dritten Mal erklang das schauerliche Kriegsgeschrei.
Wenn sie still geblieben wären, hätten wir keine Chance gehabt, dachte Pablo, während er zum Zeughaus rannte - und wunderte sich gleichzeitig, dass er das noch denken konnte. Aus allen Hütten sprangen Männer. Hinter ihm krachte das Handrohr des Adelantados. Das Geheul brach ab. Ein zweiter Schuss knallte.
Vor dem Eingang zur Waffenkammer wogte Gedränge.
»Soldaten zuerst!«, schrie der Adelantado.
Die Matrosen wichen zur Seite, um den Bordschützen Platz zu machen.
Ein fürchterliches Sausen erfüllte auf einmal die Luft, ein Zischen und Schwirren. Instinktiv duckte sich Pablo in den nächstbesten Hütteneingang. So muss sich ein Hase fühlen, der den Habicht über sich weiß, dachte er. Ein Pfeil durchschlug das Blätterdach und fuhr neben ihm in den Boden. Er spürte den Luftzug eines zweiten Pfeils, der durch eine Ritze zwischen den Balken zischte und bebend in der gegenüberliegenden Wand stecken blieb.
Die Hütte bot keinen Schutz.
Pablo kauerte sich zusammen, um eine möglichst kleine Angriffsfläche zu bieten, und lugte zitternd nach draußen. Vor dem Eingang lag ein Grumete auf dem Boden, die Hände ins zertretene Gras gekrallt, das bartlose Gesicht Pablo zugewandt, die Züge so verzerrt, dass sie unkenntlich waren. Ein Blutstrom brach aus seinem Mund. Ein langer Pfeil mit Knochenspitze ragte aus seinem Rücken, gleich unterhalb des Nackens. Er röchelte und verdrehte die Augen.
Sie bringen uns um! Das begriff Pablo auf einmal. Sie wollen uns töten! Aber warum? Und warum mich? Ich habe ihnen doch nichts getan. Ich will doch nur Gold für Miguel. Er verbarg das Gesicht in den Händen, als ob er sich dadurch unsichtbar machen könnte.
Wieder zischte ein Pfeil an ihm vorbei. Pablo keuchte vor Entsetzen. Wie lange hockte er hier jetzt schon? Zehn Minuten? Zwanzig?
Eine Waffe! Er brauchte eine Waffe! Er hatte nur das Messer, das jeder Seemann ständig im Gürtel trug, und das wirkte wie ein Kinderspielzeug gegen Speere und Pfeile.
Der Platz vor dem Zeughaus war leer. Die Schüsse der Handrohre und Musketen krachten jetzt häufiger. Aber die beiden Kanonen blieben stumm. Pablo hatte den Bordschützen Pedro beobachtet, als er auf der Insel der tanzenden Krieger auf die Indianer am Strand und in den Kanus geschossen hatte, und wusste, dass es einige Zeit dauerte, bis die Kanonen schießfertig waren. Niemand hier hatte mit einem Überfall gerechnet, deshalb waren sie nicht in Bereitschaft.
Pablo huschte geduckt zum Waffenlager hinüber, sprang über einen Verletzten hinweg, der am Boden lag und vor Schmerzen schrie, rutschte auf einer Blutlache aus und stürzte. Sein Kopf prallte gegen den Griff der Pike, die dem Verletzten aus der Hand gefallen war. Er spürte den Schlag bis in die Zähne. Hinter seinen Lidern explodierten bunte Sterne. Benommen versuchte er, in die Höhe zu kommen und die Augen zu öffnen.
Ein nackter Krieger rannte in langen Sätzen auf ihn zu, das Gesicht eine verzerrte, bemalte Fratze. In seiner erhobenen Faust schwang er eine Keule. Das ist das Ende, dachte Pablo.
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