Das Gold des Columbus
Wellen.
»Na, wer hat jetzt Recht gehabt, der alte Quintero oder ich?«, fragte Pedro höhnisch. »Tut so, als ob außer ihm noch keiner zur See gefahren ist. Pah! Haie sind ein böses Zeichen, das weiß jeder. Wenn jetzt ein Sturm kommt, dann saufen wir ab wie ein lecker Eimer. Frag mal Felipe, Eselsschiss, was er von der Capitana hält.«
Pablo ging zu Felipe. Der saß mit Werg und Pech vor der Bordwand im Hinterschiff und hatte die Hände im Schoß liegen.
»Es hat keinen Zweck mehr. Schau dir das an! Die Würmer sind schon oberhalb der Wasserlinie. Ich hab jede Nacht Albträume, da höre ich sie fressen und knistern und wispern. Ganz leise, als ob sich Schrauben ins Holz drehen.« Mechanisch stopfte er etwas Werg zwischen die Planken und ließ die Hände wieder sinken. »Schau mich nicht so an, Junge. Ich bin nicht verrückt. Ich weiß, dass man sie nicht hören kann. Aber sie fressen die Schiffe auf. Die Planken sind so morsch wie Honigwaben. Wir hätten alle drei gründlich überholen müssen. Noch in Belén. Aber da hat ja jeder nur an Gold gedacht. Ich auch. Jetzt sind die Laderäume voll bis zum Rand mit Gold und beim ersten Sturm werden die Schiffe auseinander brechen.«
»Ich fürchte, es kommt ein Sturm«, sagte Pablo zögernd.
Felipe bekreuzigte sich. »Dann gnade uns Gott.«
Auf beiden Schiffen wurden die Mannschaften geteilt. Die Hälfte der Männer war für die Segel zuständig, die andere nur fürs Pumpen und Schöpfen. Die Pumpen bewältigten das eindringende Wasser nicht mehr, obwohl sie ohne Pause betätigt wurden. Es sickerte still und stetig durch tausende und abertausende von Gängen, die die Würmer gebohrt hatten. Deshalb wurden zusätzlich zwei Eimerketten gebildet.
Pablo wusste nicht, was schlimmer war: den Schwengel der Pumpe auf und ab zu drücken oder die mit Wasser gefüllten Eimer nach oben zu reichen. Zwei Stunden pumpen, zwei Stunden schöpfen, vier Stunden Pause. Zwei Stunden pumpen, zwei Stunden schöpfen, vier Stunden Pause. Er hatte sich eingebildet, dass er inzwischen jeder Arbeit gewachsen wäre, und musste einsehen, dass er sich geirrt hatte. Der Pumpenschwengel und die Griffe der schweren Eimer scheuerten die Hände wund, bis sie bluteten. Seine Arme fühlten sich an wie Holzklötze, die sich nur mit ungeheurer Anstrengung bewegen ließen.
Der Himmel war so schwarz, dass sich Tag und Nacht nicht unterscheiden ließen. Der Sturm brüllte, die Brecher schlugen über Deck. Wenn Pablo von seiner Fronarbeit in eine Ecke taumelte und ein paar Brocken Fladenbrot und Käse kaute, hörte er die neuesten Schreckensmeldungen: Ein Segel gerissen! Eine Rahe gebrochen! Ein Anker samt Kette verloren! Ein Teil der Goldladung über Bord!
Aber das kümmerte ihn bald nicht mehr, er begriff es gar nicht. Er schlief wie ein Toter und kroch dann wieder an seine zermürbende Arbeit im Bauch des Schiffes. Manchmal dachte er an Miguel, aber allmählich wurde er zu müde zum Denken. Die Vorstellungen zerflatterten in seinem Kopf.
Das Wasser stand den Männern bis zum Knie, dann bis zum Oberschenkel. Alle Segel wurden gerefft, der Sturm wütete zu stark, man musste die Schiffe treiben lassen. Die Segelmannschaft bildete weitere Eimerketten. Als die Eimer nicht mehr langten, wurde mit Kesseln und Schüsseln geschöpft. Das Wasser stieg höher. Der Sturm tobte. Die See kochte.
Wir sterben, dachte Pablo. Wir sterben in Raten. Bald sind wir Futter für die Haie. Warum kämpften sie noch? War dieser zermürbende Wettstreit gegen das Wasser, das gurgelnd im Schiffsbauch höher stieg, nicht schlimmer als jeder plötzliche Tod? Würden die messerscharfen Zähne der Haifische nicht eine Erlösung sein nach den Schmerzen, die noch im kleinsten Muskel des Körpers tobten? Pablo wollte die Sterbegebete sprechen, aber die Worte fielen ihm nicht mehr ein.
Irgendwann, irgendwo in der Hölle aus Schwärze und Schmerzen, erschütterte ein Stoß den Schiffsrumpf, der alle von den Füßen warf.
»Die Santiago ist gegen uns gekracht!«
»Der Vordersteven ist gebrochen!«
»Schöpft, Männer, schöpft!«
»Pumpt, Männer, pumpt!«
Irgendwann, irgendwo ein zweiter Stoß.
»Das Heck der Santiago ist gegen unseres geprallt.«
»Das Ruder ist gebrochen.«
Ineinander verkeilt peitschte der Sturm die beiden Schiffe die Wellenberge hinauf und in die Wellentäler hinunter. Am Horizont schimmerte ein rosafarbener Streifen, der sich rasch vergrößerte. War das die Morgen- oder die Abenddämmerung? Ein fahles
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