Das Gold von Karthago
Schichten). Danach gab es nichts Unaufschiebbares zu tun. Er lauschte in sich hinein, verspürte das Bedürfnis, sich zu bewegen, packte die in Wachstuch eingeschlagenen Wurfmesser und ging zum rückwärtigen Teil der Festung. Zwischen den großen Stallgebäuden führte ein Weg zu einem runden, von ausladenden Bäumen beschatteten Platz, wo ein Unterführer mit drei Dutzend Hopliten Nahkampf- übungen machte. Die Männer hatten Holzschwerter, stumpfe Speere und Lederpanzer. Er sah nicht lange zu, sondern lief schnell fünf Runden um den Platz, ohne allzusehr keuchen zu müssen.
An einem der Bäume hing das wie ein Mann geformte Ziel aus Bast, mit dem die Bogenschützen der Festung übten. Bomilkar öffnete das Wachstuch, schnallte den dünnen Ledergürtel um den Hals, steckte das erste der Wurfmesser in die Scheide, die unterm kitun an seinem Nacken lag, und warf viermal, aus immer größeren Entfernungen, alle zwanzig Messer. Er war nicht unzufrieden. »Könnte immer besser sein«, murmelte er, »aber …« Er brachte das Tuch mit den Messern zurück in seine Amtsstube und lief, ohne sich zu verausgaben, zu der Ecke nahe der Agora, wo er sich mit Laetilius verabredet hatte.
Sie nahmen drei kleine Mahlzeiten zu sich – eine in jeder der anderen Schänken, die Zililsan und die Männer vom Schuppen als mögliche Schauplätze der Ermordung des Lavinius ausfindig gemacht hatten. Es gab keine neuen Erkenntnisse, nur einen weiteren Papyrosfetzen, den in der dritten Schänke jemand von einem Sklaven überbringen
ließ. Darauf stand in krakeliger Schrift: Hör auf, wenn dir dein Leben lieb ist .
Zwischen den Schänken fand Bomilkar verwickelte Umwege; sie dienten der Verdauung und dazu, Laetilius einige Anblicke zu zeigen. Von der Südmauer betrachteten sie den von zahllosen Booten gesprenkelten Tynes-See, die belebte Uferstraße, die aufgeschütteten Molen, die Badeplätze, die von Kindern wimmelten, die Schilffelder, durch die langbeinige Vögel staksten, und eine große befestigte Fläche, auf der Boshmun, Herr der Rennen, eine neue eiförmige Bahn für Wettfahrten mit Pferdewagen bauen ließ. An einem kleinen dreieckigen Platz, auf dem Gaukler, Schlangenmenschen, Seiltänzer und Wahrsager ihre Stände und Zelte betrieben, tranken sie verdünnten heißen Würzwein, um besser schwitzen zu können. Bomilkar zeigte dem Römer das älteste Haus der Stadt, einen zweigeschossigen Bau aus verwitterten Balken und Quadern zwischen Byrsa und Bucht, in dem angeblich die Gründerin der Stadt, die tyrische Fürstentochter Elissa, einige Zeit gelebt hatte – »Also fünfzig Jahre bevor ihr euer erstes Wolfsgelege im Tibersumpf eingezäunt habt.«
Laetilius kratzte mit dem Fingernagel ein wenig Schmutz von einem der Balken. »Sehr witzig. Was ist jetzt in dem Haus?«
»Eine der Fernhändlergilden.«
Von dort war es nicht weit bis zur Stätte der Brandopfer, dem tofet . Fremde, auch die in der Stadt ansässigen Metöken, nannten den eingefriedeten Bereich den finstersten Ort der Oikumene. Hier stand das wichtigste Heiligtum, der Tempel des eisernen Baal Melqart – Baal, ›König der Stadt‹, der eherne Gott, der nichts ohne Gegenleistung gewährte. Dem in früheren Zeiten die Edelsten ihre Erstgeborenen geopfert hatten. Gefäße aus Ton und Stein, die die verbrannten Reste enthielten, lagen innerhalb einer gesonderten Umwallung in vielen Schichten übereinander.
Laetilius zog die Nase kraus. »Macht ihr das immer noch?«
»Hanno, auch oberster Priester dieses Tempels, hat einige Male vorgeschlagen, den Brauch wiederaufzunehmen. Man opfert nur noch totgeborene oder früh verstorbene Kinder.«
»Seit wann?«
Bomilkar überlegte. »Ich glaube, die letzten richtigen Opfer hat es während der Belagerung durch Agathokles gegeben – vor achtzig Jahren. Warum? Habt ihr etwas Ähnliches?«
»Wir begraben hin und wieder lebende Erwachsene.«
»Ah bah.«
»Was willst du? Jedem das Seine.«
Durch die Bogengänge des Metökenviertels, vorbei an einem überdachten Theater, das mehr als zehntausend Menschen faßte, kehrten sie zurück zur Großen Straße. Dort trafen sie auf Daniel, der Laetilius vorschlug, bis zum Sonnenuntergang alle römischen Spitzel zu besuchen – »Vielleicht kenne ich ja einige noch nicht.«
Bomilkar lachte über das Gesicht des Römers. »Viel Spaß. Ich will noch ein wenig arbeiten, bis zum Sonnenuntergang. Treffen wir uns bei Aspasia?«
7. KAPITEL
A spasia war nicht zu Hause; der Holzladen vor dem
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