Das Gold von Sparta
ja immer seltsamer.«
Vor ihnen leuchteten ganz kurz die Bremslichter des Lucerne auf, dann noch ein zweites Mal. Daraufhin bogen sie nach rechts ab und verschwanden hinter einigen Bäumen. Sam näherte sich der Abzweigung und bremste gerade noch rechtzeitig, um beobachten zu können, wie die Rücklichter des Lucerne ein weiteres Mal abbogen, diesmal nach links in eine Einfahrt, etwa hundert Meter weiter. Er schaltete den Motor aus und drehte das Fenster auf der Beifahrerseite nach unten. Durch die Bäume konnten sie erkennen, wie die Scheinwerfer des Lucerne erloschen. Dann erklang das Geräusch einer Wagentür, die geöffnet und wieder geschlossen wurde. Das Gleiche erklang noch einmal zehn Sekunden später.
Dann eine Stimme: »Hey … lassen Sie das!«
Frobishers Stimme. Eindeutig erregt.
»Nun, damit dürfte alles klar sein«, sagte Sam.
»Okay«, sagte Remi. »Und was willst du jetzt tun?«
»Du fährst zum nächsten Haus oder wenigstens bis zu einer Stelle, wo du wieder Empfang hast, und rufst die Polizei an. Ich werde …«
»O nein, das wirst du nicht, Sam.«
»Remi, bitte …«
»Ich sagte nein, Sam.«
Sam stöhnte. »Remi …«
»Wir vergeuden wertvolle Zeit.«
Sam kannte seine Frau gut genug, um ihren Tonfall und das entschlossen vorgereckte Kinn richtig zu deuten. Sie stampfte mit dem Fuß auf – als Zeichen, dass sie keinen Widerspruch duldete.
»Na gut«, sagte er, »aber keine unüberlegten Heldentaten, okay?«
»Das gilt auch für dich.«
Er grinste sie an und zwinkerte ihr zu. »Bin ich denn nicht immer der Inbegriff von Vorsicht?« Und dann: »Schenk dir eine Antwort.«
»Mitgefangen«, begann Remi.
»Mitgehangen«, endete Sam.
5
Mit immer noch ausgeschalteten Scheinwerfern lenkte Sam den BMW langsam über die Straße, wich Schlaglöchern so gut es ging aus, bis sie nur noch etwa fünfzig Meter von der Einfahrt entfernt waren. Dann unterbrach er abermals die Zündung.
Sam sagte: »Würdest du bitte im Wagen warten?«
Remi sah ihn stirnrunzelnd an. »Hi, offenbar kennen wir uns noch nicht richtig.« Sie streckte ihm eine Hand entgegen. »Ich bin Remi Fargo.«
Sam seufzte. »Hab schon verstanden.«
Sie hielten einen kurzen Kriegsrat über ihre weitere Vorgehensweise im schlimmsten möglichen Fall ab, dann reichte Sam ihr seine Sportjacke, und sie stiegen aus.
Sie wechselten von der Straße sofort in den Abflussgraben, der auf beiden Seiten mit hohem Gras zugewuchert war. Er verlief bis zum Fahrweg, wo er sich zu einem Abflussrohr verengte.
Geduckt und alle paar Schritte stehen bleibend, um zu lauschen, folgten sie dem Graben bis zur Zufahrt, dann kletterten sie die Böschung hinauf und suchten sich einen Weg durch die Bäume. Nach fünf, sechs Metern lichtete sich der Baumbestand, und sie gelangten an den Rand einer Lichtung.
Die Fläche war erstaunlich groß und maß etwa zwei Morgen. Gefüllt war sie mit runden Gebilden, von denen einige so groß wie Pkw-Garagen, andere so groß wie Kleinwagen waren. Sie lagen wie die Holzstäbe eines Mikado-Spiels kreuz und quer herum. Als sich Sams Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, erkannte er endlich, was er vor sich sah: einen Schrottplatz für Heizkessel. Wie und warum er sich ausgerechnet hier befand, mitten in der unberührten Landschaft Marylands, wusste er zwar nicht, aber da war er nun mal. Ihrer jeweiligen Größe nach zu urteilen stammten die Kessel aus einer ganzen Reihe von unterschiedlichen Quellen – von Lokomotiven, aus Schiffen und Fabriken. Der Regen prasselte auf das Laub ringsum und erzeugte auf den Kesseln stählern klingende Echos, die durch die Bäume hallten.
»Nun, dies hier zu finden, hätte ich am wenigsten erwartet«, flüsterte Remi.
»Ich auch.« Und das verriet ihnen einiges über Teds Angreifer. Entweder kannte er sich in dieser Gegend bestens aus oder er hatte sich hier vorher genau umgeschaut. Keine der beiden Möglichkeiten konnte Sam beruhigen.
Der Buick Lucerne parkte mitten auf der Lichtung, aber weder von Frobisher noch vom Fahrer des Wagens war etwas zu sehen. Sie schienen tiefer in das Kessellabyrinth vorgedrungen zu sein. Aber warum waren sie hier überhaupt hergekommen, fragte sich Sam. Die erste Antwort, die ihm in den Sinn kam, ließ ihn frösteln. Was Teds Entführer geplant hatte, konnte er sich nicht zusammenreimen, aber eines war sicher: Der Mann wünschte sich Einsamkeit. Oder einen Ort, wo er eine Leiche zurücklassen konnte. Oder beides. Sam spürte, wie sich sein Herzschlag
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