Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
Sie nicht?«
Die Zellentür wurde
aufgerissen, und ein junger, gutaussehender Beamter stellte zwei Tabletts auf
den Klapptisch. »Artischocken, Schweinelendchen mit Spaghetti, Crème de
Vanille«, rief er und schloß die Tür wieder.
»Respekt«, sagte Philipp und
schnupperte an den Schüsseln herum. »Hätte ich doch eher Saubohnen mit
Freibankfleisch erwartet an diesem Ort. Oder ist heute etwa Sonntag, Monsieur?«
Monsieur antwortete nicht. Er
schaute durch die Stäbe der Gittertür dem Beamten nach. So lange, bis er hinter
der Biegung des langen Flurs verschwunden war. Er drehte sich seufzend um: »Er
heißt Marcellino. Was für ein Mann!« Er ließ den Namen des Mannes auf der Zunge
vergehen. »Mar-cel-lino. Er ist drüben geboren, auf der anderen Seite. In
Italien.«
Sie setzten sich auf ihre
Pritschen und begannen zu essen. »Wie fanden Sie die Lenden?« fragte Lankoff.
Philipp schaute auf seinen
Teller. »Nun, eher ein bißchen zäh.«
»Zäh? Welch ein Ausdruck, welch
eine Blasphemie! Sie haben den edlen Schwung des griechischen Jünglings, so wie
ihn Praxiteles einst geschaffen hat.« Lankoff verfiel in beleidigtes Schweigen.
Skurrile Type, dachte Philipp.
Was will er bloß?
»Auch Sie haben eine schöne
schmale Taille«, sagte der Zellengenosse nach einer Weile mit sanfter Stimme.
Philipp schaute erstaunt auf.
Der Blick des anderen lief seine Hüften auf und ab. Ach du lieber... ach du
großer... Das hatte ihm gerade noch gefehlt. Er mußte aus dieser Zelle ‘raus.
Er stand auf und wollte zur Tür, um den Beamten mit den zähen Lenden, verdammt,
jetzt fing es bei ihm auch schon an, also um den Beamten zu rufen.
»Aua!« schrie Lankoff, der noch
bei seiner Mahlzeit war, plötzlich auf und faßte sich mit schmerzhafter Gebärde
an seinen t Mund.
»Ein Knochen?« fragte Philipp.
»In Vanillecremes sind selten
Knochen.« Lankoff hielt sich die I Serviette vor den Mund und jammerte in hohen
Tönen. »Höchstens Kassiber. Tatsächlich, ich hatte recht. Es ist einer. Hier,
sehen Sie! Aber es ist natürlich ein Skandal...«
»Die Direktion würde es als
einen solchen ansehen«, stimmte Philipp zu und besah sich das etwa einen
Zentimeter im Umfang messende Röhrchen.
»Wer spricht von der Direktion,
ich spreche von meinen Zähnen. Wie oft habe ich denen nun schon gesagt, daß man
kein Metall mehr nimmt. Mit den neuen Kunststoffkassibern kann so etwas
überhaupt nicht passieren.« Er wackelte an seinem linken oberen Eckzahn herum.
»Aber sehen Sie, da haben Sie Frankreich, la grande nation mit ihrer ganzen
himmelschreienden Rückständigkeit, Frankreich, wie es leibt und...« Seine
Stimme klang etwas undeutlich, weil er immer noch in seinem Mund herumfummelte.
»Sie sind Deutscher, Monsieur, wenn ich recht gehört habe, glauben Sie, daß so
etwas in Deutschland jemals passieren könnte?«
Philipp war überfragt. »Wie
wäre es, wenn Sie das Ding da mal aufmachen würden?« schlug er statt einer
Antwort vor.
Lankoff machte den Kassiber
auf. Er zog einen zu einer winzigen Rolle zusammengedrehten Zettel heraus,
stieg auf das Bett und hielt ihn unter die Deckenleuchte.
»Ich passe auf, ob einer
kommt«, schlug Phil hilfsbereit vor und schaute durch die Gittertür den
Zellengang entlang.
»Das ist sehr nett, aber
unnötig. Hier weiß sowieso jeder Bescheid. Schieben Sie lieber einen Zwanziger
in ihren Trinkbecher.« Lankoff stieg wieder herunter von der Pritsche.
»Gute Nachrichten?« fragte
Philipp beiläufig. Er hätte zu gern gewußt, was auf dem Zettel stand.
Vielleicht wäre ihm der Grund seiner Verhaftung klarer geworden. Seine beiden
Polizisten hatten lediglich gesagt: »Es liegt etwas gegen Sie vor. Leider
besteht Fluchtverdacht, Sie sind Ausländer, Monsieur Engel. Deshalb die kleine
Formalität.« Sie hatten ihm auf die Schultern geklopft und ihn auf Montag
vertröstet. Am Montag würde er alles erfahren. »Und unsere Haftanstalt«, hatte
der Kleinere von den beiden gesagt, »erfreut sich echter Beliebtheit. Landru
zum Beispiel, der Massenmörder, wollte partrout hier hingerichtet werden. Es
ließ sich leider nicht machen.« Und der Größere hatte hinzugefügt: »Natürlich,
das ›Negresco‹ ist es nicht, aber die Aussicht, die Aussicht ist
unübertreffbar.«
»Gute Nachrichten?« fragte
Philipp seinen Zellengenossen noch einmal. »Nicht weiter wichtig«, sagte Lankoff,
strafte sich aber dann selbst Lügen, als er den Zettel aufaß und mit ein paar
kräftigen Schlucken aus seinem
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