Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
gehorsam.
Erleichtert entzündete er sich
eine Zigarette und ließ sich in den Sessel sinken. »Die Sache ist doch so: Wir
haben uns damals das Revier geteilt, Anselmo und ich, natürlich, wir waren sehr
verschieden in unseren Methoden, aber das war nicht der Hauptgrund. Der
Hauptgrund war, also wissen Sie, Koks lag mir einfach nicht, ich wollte partout
nicht mit Koks handeln.«
»Das kann ich verstehen«, sagte
sie beklommen.
»Es klingt vielleicht komisch,
aber ehrlich gesagt, ich fand’s von jeher ein bißchen unmoralisch. Wenn man so
an die Kokser denkt und dieses Elend, nein, da bleib ich doch lieber bei meinen
Blüten.«
Der eine, dieser Anselmo, hat
ein Kohlengeschäft und der andere, der ihr gegenübersaß, hat einen Blumenladen.
Na schön, dachte Mutter Engel, ich hab’ ja nichts dagegen, aber warum kam er
auf ihr Zimmer, um ihr das zu erzählen? Ob er wohl nicht ganz richtig im Kopf
war? Wenn er nicht ganz richtig im Kopf war, durfte man ihm auf keinen Fall
widersprechen.
»Blüten«, sagte er gerade
wieder, »das ist eine runde, ehrliche Sache.«
»Ach ja«, meinte sie, »das
blüht ja hier nur so. Ein einziges Blütenmeer.«
»Wieso?« fragte er mißtrauisch.
»Nun ja, die vielen Nelken,
Orchideen, Oleander, die hier überall…«
»Ah so«, sagte er und lachte
gezwungen, »kleiner Scherz.« Er nahm seine Sonnenbrille ab und schwenkte sie
spielerisch. Leboss wollte die Brille wieder aufsetzen.
»Bitte, setzen Sie sie nicht
wieder auf!« Elisabeth war aufgestanden und starrte ihm ins Gesicht.
»Was ist mit Ihnen?« Er war
sofort wieder mißtrauisch und schob die Bügel der Sonnenbrille hinter die
Ohren.
Sie kam auf ihn zu und nahm ihm
die Brille mit großer Selbstverständlichkeit wieder ab. Sie schaute ihn an: das
silbergraue, fast weiße Haar, die merkwürdig hellen Augen, die von tausend
Fältchen umgeben waren, der weiche Mund, der so gar nicht zu dem energischen
Kinn passen wollte, die etwas zu große Nase. »Die Nase ist bei Ihnen erblich in
der Familie, ein bißchen zu groß war sie schon immer.« Das hatte sie einmal zu
Philipp gesagt. Und doch, es konnte nicht sein, es war nicht möglich, da war
die Ähnlichkeit, gewiß, es war eine Ähnlichkeit, ach, sie war wohl schon ein
bißchen hysterisch, die Sorge um Philipp. Und Florence de Grandlieu, die sie
gestern kennengelernt hatte. Der Name Grandlieu, er hatte die Erinnerungen
geweckt, hatte längst Verschüttetes wieder freigelegt.
»Wollen Sie ein Bild von mir?«
fragte Leboss, der langsam ärgerlich geworden war. »Oder weshalb starren Sie
mich so an?« Er griff nach seiner Brille, die sie immer noch in der Hand hielt.
»Bitte, entschuldigen Sie, ich
dachte... Ach, es ist alles Unsinn. Ich bin wohl ein bißchen durcheinander.«
»Nun, macht ja nichts«, sagte
er, »es wird der Mistral sein. Wissen Sie, da braucht man Luft.« Er stand auf,
und als er die Jalousie hochzog und das Licht voll auf ihn fiel, sah sie die Narbe.
Die buschigen Augenbrauen
verdeckten sie zum Teil. Er hatte damals noch nicht so dichte Brauen gehabt.
Die Narbe hatte die Form einer Sichel und verlief sich am äußersten Ende des
linken Augenlids. Es war seine Narbe.
Sie wollte sich erheben, aber
die Knie versagten ihr. Sie sprach wie in Trance: »Du hast sie dir im
›Hirschen‹ geholt, bei der Mensur. Einer von den Saxo-Borussen, er hatte mich
belästigt beirrt Schloßball. Du warst sehr stolz damals und sehr, sehr
eifersüchtig.«
Leboss hatte den Gurt der
Jalousie aus der Hand gleiten lassen. Die Jalousie sauste mit einem Knall
herunter. Der Mistral, dachte er. Oder ob sie... Seine Gedanken bewegten sich
in dieselbe Richtung, die ihre Gedanken vorhin eingeschlagen hatten: Ob sie
nicht ganz richtig im Kopf war? Wenn sie nicht ganz richtig im Kopf war, durfte
man ihr auf keinen Fall widersprechen.
»Weißt du noch, wie wir nach
Hirschhorn gefahren sind, den Neckar hinunter, es war eine Juninacht. Johanni,
glaube ich. Wir hatten schon eine Menge Wein getrunken. Du zeigtest auf den
Mond und fragtest mich: ›Willst du den Mond haben? Ich hol’ ihn dir herunter.‹
Als wir nach Heidelberg zurückkamen...«
Er legte seine Hand an die
linke Augenbraue und fuhr mit den Fingerspitzen über die Narbe. Er lauschte dem
Klang ihrer Stimme.
In seinem Unterbewußtsein
rumorte es. Erinnerungen stiegen auf, Bilder. Die Bilder waren schemenhaft,
unscharf wie schlecht entwickelte Fotos.
Er schaute die fremde Frau an.
Sie war nicht schön oder nicht mehr schön. Man
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