Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld
erbrochen. Roter harter Siegellack bröselt auf grüne
Marmorplatte. Pergament knistert. Für einen Moment hört man den bekannten Engel
durch den Raum schreiten. So still ist es geworden. Der Verkehrslärm aus der
Schlucht der Park Avenue ist plötzlich als ein sanftes Brausen zu vernehmen.
Annegret Radke hat sich steil
aufgerichtet und wirkt wie ein Vorstehhund, der die Beute wittert. Kusine Erika
läßt ihre Oberarme allein mit der Gänsehaut. Trixi faßt sich ans linke
Ohrläppchen, was sie immer tut, wenn sie aufgeregt ist.
»Ich, Verena Hold«, sagt die
Whiskyreklame, »ich, Verena Hold, gebe hiermit meinen letzten Willen kund,
demgemäß ein Teil meines Barvermögens den weiblichen Mitgliedern meiner engeren
Familie zukommen soll. Dazu gehören ad eins meine Schwester Annegret,
verwitwete Radke, geborene Holderlein, wohnhaft zu Frankfurt, ad zwei ihre
Tocher Erika Radke, ad drei meine Schwester Marianne Sommer, geborene
Holderlein, wohnhaft zu Stuttgart, ad vier ihre Tocher Beatrix Sommer,
ebenfalls dort wohnhaft.«
Frau Annegret Radke sinkt
befriedigt in sich zusammen. Mein Gott, denkt sie, was ist das für ein
herrliches Gefühl, Millionärin zu werden.
»Die Summe pro Kopf der
Erbberechtigten«, fährt der Notar fort, »beträgt 5 000 Dollar, in Worten
fünftausend. Diese Summe kann sofort in bar erhoben oder in Form eines Schecks
entgegengenommen werden.«
»Five thousand, you have said?«
fragte Frau Radke in ihrem Schulmädchen-Englisch. Sie hebt auch den Finger wie
ein Schulmädchen bei dieser Frage.
»Fünftausend«, übersetzt der
Dolmetscher und fingert an der Stenografiermaschine herum.
»Five thousand«, bestätigt der
Notar.
Der Traum der Annegret Radke
zerplatzt wie ein Luftballon. Sie läßt ihre Stielbrille und den Unterkiefer
sinken.
»Wir haben einen gerechten
Anteil zu erwarten«, denkt sie. »Fünftausend aber sind nicht gerecht,
fünftausend sind himmelschreiend, oder genauer gesagt, 16 650 Deutsche Mark,
ein Trinkgeld!«
Auch Trixi findet fünftausend
nicht üppig. Wenn man an den betriebseigenen Wolkenkratzer denkt und überhaupt.
Aber einem geschenkten Gaul...
»Ich darf das Einverständnis
der hier versammelten Erben voraussetzen?« fragt der Notar.
»Ja«, sagt Beatrix und lächelt,
wobei sich ihre Nase kräuselt.
»Nein!« schreit Frau Radke und
schwenkt die Stielbrille.
»No!« übersetzt der Dolmetscher
sicherheitshalber.
»Woher stammen die Millionen
denn?« sprudelt sie los. »Ich werde es Ihnen sagen, woher sie stammen. Von der
Schönheitscreme, die sie damals mitgenommen hat. Von der Familiencreme. Von unserer Creme. Und weil es unsere Creme war, ist das jetzt auch unser Geld, denn ohne
diese Creme hätte sie ja auch nicht..., würde sie ja auch nicht...« Sie
verstrickt sich rettungslos, befreit sich mit einem abrupten »Also, was ist nun
mit dem übrigen Geld?«, schweigt erschöpft.
Der Notar kennt die Geschichte
des unaufhaltsamen Aufstiegs der Verena Hold. Er weiß, daß ein Familienrezept
dabei ein Rolle gespielt hat. Patentrechtlich ist diese Tatsache ohne Belang.
Und erbrechtlich auch. Er hat nicht die Absicht, darauf einzugehen. Die letzte
Frage der aufgeregten deutschen Dame aber ist keine dumme Frage. Es ist
legitim, wenn man als Verwandter wissen will, was mit der Gesamtheit des von
der Erblasserin hinterlassenen Vermögens geschieht.
»Ich komme nun zur Klausel
römisch Berta, Anhang zwo«, fährt er deshalb fort, »er befaßt sich mit dem
erwähnten ›übrigen Geld‹, mit dem Rest, wenn ich mich mal so ausdrücken darf.
Dieser Rest beträgt fünf Millionen achthundertundvierundsiebzigtausend Dollar
und 62 Cent.«
Der Engel, der vorhin durch den
Raum gegangen ist, kommt sofort zurück. Bei einer solchen Summe lohnt es sich.
Wieder also herrscht tiefes Schweigen, diesmal untermalt vom leisen Schnaufen
der Möpse.
»Ich, Verena Hold— so die
Erblasserin im folgenden ich, Verena Hold, vermache diese Summe derjenigen
unter den weiblieben Mitgliedern meiner Verwandtschaft, die das verkörpert,
worum ich mein Leben lang mit allen meinen Kräften bemüht war: Schönheit!
Schönheit des Gesichts, Schönheit der Bewegungen, Schönheit des Körpers. Ihre
absolute Voraussetzung aber ist Schlankheit. Und Schlankheit war für mich immer
verbunden mit der magischen Dreizahl 90 — 60 — 90. Sollten die Erbberechtigten
diese Idealmaße überschreiten, so erhalten sie ein Jahr Zeit, sie zu erreichen.
Schönheit ist kein Geschenk des Himmels, Schönheit ist
Weitere Kostenlose Bücher