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Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld

Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld

Titel: Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. Fischer-Fabian
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Fleiß. Sollten die
Bedingungen auch nach abgelaufenem Jahr nicht erfüllt sein, ist die Gesamtsumme
dem Institut für Verjüngungsforschung an der Universität Washington zu
überweisen.«
    Die magische Dreizahl 90 — 60 —
90, das heißt: Busen, Bauch, Hüfte. Der Notar wirft einen prüfenden Blick auf
die Erben.
    Jim Stutterbold grinst. Er
grinst, weil er schadenfroh ist und weil ihm ein Licht aufgeht. »Deswegen
also«, denkt er, »hatte die Chefin immer von ihren ›Dickerchen aus Old Germany‹
gesprochen.«
    »Dick« allerdings ist ein
unhöfliches Wort für die anwesenden Damen. Erika beispielsweise ist allenfalls
pummelig. Von »60« kann jedoch bei ihrer Taille nicht die Rede sein. Es sind
etliche Zentimeterchen mehr. Was auch für die Hüften zutrifft.
    Auch Trixi ist nicht dick.
Trixi ist von jener wienerischen Molligkeit, die heutzutage so schrecklich
unmodern geworden ist. Die magische Dreizahl überschreitet auch sie. Schon in
der Tanzschule war ihr Busen begehrter Blickfang pubertierender Jünglinge. Was
ihr immer entsetzlich genant gewesen war. Aber auch an jener kritischen Stelle
oberhalb des Nabels zeigt sich beim Sitzen ein sanftes Röllchen, das Ärzte mit
dem Ausdruck »Speckwulst« zu belegen pflegen.
    Dieser Ausdruck trifft in
seiner ganzen Unbarmherzigkeit auf Frau Annegret Radke zu. Frau Annegret, als
Kind hochgepäppelt mit schwäbischen Spezialitäten wie Leberspätzle,
Metzelsuppe, Briesle und Dampfnudle, war für ihr Leben rettungslos ins
Hintertreffen geraten, will sagen, sie verfügt über ein unüberwindliches
Handikap.
    In die mit den Händen greifbare
Stille hinein tönt die Stimme des Notars. »Wenn eine der anwesenden Damen der
Meinung ist, daß sie die von der Erblasserin gesetzten Maße aufweist, darf ich
sie bitten, sich der Hausdame der Verblichenen anzuvertrauen. Sie wird im
Nebenraum die notwendigen Messungen vornehmen.«
    »Aber nicht bei mir«, schreit
Frau Radke, »nicht bei mir!« Sie ist fleischgewordene Empörung. Wie weiland
Brünhild schreitet sie über den Kampfplatz des Konferenzsaales. Auch ihr Busen
bebt brünhildisch. Was in diesem Moment nun wirklich falsch ist.
    Sie schreitet auf das Portrait
Pablo Picassos zu. Sie stützt die Fäuste in die Hüften und sagt zu der
Schwester mit den grünen Haaren: »Hab’ ich’s doch gewußt! Hab’ ich’s doch
geahnt, daß du uns hereinlegen willst. Du bist dir also treu geblieben. Selbst
aus dem Grab heraus willst du uns noch ärgern. Wo du uns dein Leben lang nur
geärgert hast.«
    »Darf ich die Damen in den Nebenraum
bitten.« Es ist die Hausdame, ein ältliches Fräulein mit mageren Schülern,
glanzlosen Augen, hochgeschlossenem Kleid. Sie schaut unbeteiligt von einem zum
anderen.
    »Das dürfen Sie nicht! Es ist würdelos. Es ist eine Zumutung. Wir lassen uns nicht taxieren wie...,
wie...«
    Niemand hat jemals genau
erfahren, welcher Vergleich hinter dem »Wie« kommen sollte. »Wie die
Negersklaven« war die Version, die Trixi später kolportierte.
    »Wie Schlachtvieh« tippte James
P. Stutterbold. Jedenfalls war es Stutterbold, in dessen geistesgegenwärtig
geöffnete Arme Annegret Radke fiel. Sie war ohnmächtig geworden.
    »Tock, tock, tock«, macht der
Bleistift des Notars. Er wendet sich an Kusine Erika. »Miß Radke, darf ich
annehmen, daß die Weigerung der Mrs. Radke, sich den nötigen Formalitäten zu
unterziehen, einem Verzicht auf das Erbe gleichkommt.«
    Erika will antworten. Sie kommt
nicht dazu. Ihre Mutter schlägt blitzartig die Augen auf und sagt: »Nein!« Sie
erhebt sich von der Chaiselongue, auf die man die gerade erst gebettet hat.
    »Komm, mein Kind«, sagt sie
würdevoll, und während sie der Hausdame mit den eckigen Schultern folgen,
zischt sie ihrer Tochter zu: »Zieh den Bauch ein, Mädchen.«
    Auch Trixi geht hinüber in den
Nebenraum. »Ich bin schlank«, denkt sie dabei, »ganz ganz schlank...«
     
    Die Nacht ist hereingebrochen
über New York. Es ist eine Julinacht. Die Mauern der Wolkenkratzer strahlen die
am Tage gespeicherte Wärme aus. Wie riesige Kachelöfen. Die New Yorker flüchten
in die Restaurants, in die Kinos, in die Theater. Überall dorthin, wo
Kühlgebläse blasen. Das ist der Grund, warum so viele New Yorker mitten im
Sommer erkältet sind.
    Auch Jim Stutterbold fröstelt.
Was aber einen anderen Grund hat. Stutterbold blättert im Konversationslexikon
(Band 11, Maa bis Myxe).
    »Mops«, liest er, »von
niederdeutsch mopen, das Maul verziehen, mürrisch sein, Gruppe

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