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Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld

Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld

Titel: Das goldene Bett/Aphrodite ist an allem schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: S. Fischer-Fabian
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froh:
Eine blaue Turnhose sieht er, deren Gummiband bis zum Zerreißen gespannt ist
und weiße Turnschuhe und spitze Knie und Waden, die der Volksmund
Stachelbeerwaden nennt. Der Greifer macht nicht den Eindruck eines Mannes, der
83 Folgen lang leichte Mädchen und schwere Jungs zu vernaschen pflegte.
    Immerhin hat er 1 Kilo und 284
Gramm abgenommen, und das tröstet ihn, genauso wie der Beifall, der ihm dieser
Leistung wegen von Beatus Hügeli neidlos gespendet wird.
    Der Greifer hatte sich
ursprünglich zur Kronprinzessin-Beatrix-Diät entschlossen (auch Oranier-Diät
genannt), war es damit doch Hollands Thronfolgerin gelungen, aus einem
Pummelchen zu einer Klassefrau zu werden und sich das Herz des Prinzen Claus zu
erobern. Der Name »Hollywood« hatte dann genügt, um den Greifer schwankend werden
zu lassen und sich für die klassische Hollywood-Kur zu entscheiden, auch wenn
sie ihren Anhängern nur 500 bis 800 Kalorien pro Tag gestattete.
    »Fräulein Erika Radke, bitte!«
Erika turnt munter die Stufen hinauf und hopst auf die Waage. In die Stille der
gespannt lauschenden Runde klingt das dezente Klirren des Waagebalkens,
Grobeinstellung, Feineinstellung, der Kipphebel rastet hörbar.
    »Vierundsiebenzig Komma zwo
Kilogramm«, sagt der Doktor und schaut angestrengt auf seine Liste.
»Gewichtsabnahme in drei Tagen, Pardon, Pardon.« Verblüfftes Schweigen. »Hier
handelt es sich nicht um eine Gewichtsabnahme, hier wäre eine Gewichtszunahme
zu registrieren. Und zwar genau sechshundertunddreizehn Gramm.«
    Das fröhliche »Buuuuuuhhh!« der
Passagiere wird von einer scharfen Stimme zerschnitten: »Die Waage stimmt
nicht!« Die Stimme gehört Mutter Radken, die zornesrot auf das Podium zueilt.
    »Die Waage stimmt«, sagt der
Doktor und ist auf der Stelle beleidigt. Wer an medizinischen Geräten zweifelt,
zweifelt an der Ärzteschaft schlechthin.
    »Sie kann aber nicht stimmen.«
    »Sie stimmt, und außerdem ist
sie frisch geeicht.«
    »Sie stimmt aber trotzdem
nicht.«
    »Als ich vorhin verkündete, daß
Sie meine Gnädigste, ein Kilo und hundertundzwoundzwanzig Gramm abgenommen
haben, da hatte sie noch gestimmt, stimmt’s?«
     
     
    Erika Radke will Millionärin
werden. Mit aller Macht. Oder zumindest ihre Mutter will, daß sie es will. Und
so hat sie der Ärmsten eine Kur verschrieben, die nur 750 KAL pro Tag erlaubt.
In 10 Tagen sollen dabei 10 Pfund vom Fleische fallen. Was kein Wunder ist,
wenn man bedenkt, daß selbst die Kriegsration jedes Deutschen das Doppelte
betrug, nämlich 1500. Die 750-KAL-Diät wird als Wunderkur angepriesen, doch wer
sich ihr unterzieht, sollte wissen, ob sein Herz und sein Kreislauf dem
gewachsen sind
     
    Merke: Seien Sie grundsätzlich
mißtrauisch gegenüber Wunderkuren, sonst können Sie ihr blaues Wunder erleben.
Gehen Sie in solchen Fällen unbedingt vorher zum Arzt.
     
     
    Frau Annegret muß zugeben, daß
das logisch ist, was der Doktor da sagt, aber für Logik war sie nie, und so
wird sie bockig wie weiland Trotzköpfchen. »Meine Tochter hat drei Tage lang so
gut wie gar nichts gegessen. Praktisch von Luft hat sie sich ernährt...«
    »Von Luft ernähren sich nur
ganz bestimmte Orchideen«, sagt der Doktor erbarmungslos, »und Ihre Tochter ist
keine.«
    »Ekalein«, wendet sie sich
hilfeheischend an ihre Tochter, »wiegen wir nicht jedes Scheibchen auf unserer
Briefwaage? Habe ich dir nicht neulich zum Abendbrot sogar die zweite Mohrrübe verboten?
Halten wir uns nicht ganz streng an unsere 750 Kalorien? Hast du je ein
einziges Kaloriechen mehr zu dir genommen?«
    Erika schüttelt mit dem Kopf,
aber sie sagt nix, sie seufzt nur. Ihre Augen, von blassem Himmelblau, blicken
mit der üblichen Unschuld in die Gegend. Der weiche, volle Mund mit den kleinen
Perlzähnen ist leicht geöffnet, was den Eindruck immerwährenden Staunens
erweckt. Ein Eindruck, der nicht ganz falsch ist. Erika Radke staunte schon
immer über diese Welt, durch die sie sich so gern hindurchfraß und die das doch
niemals tolerieren wollte, denn diese Welt ließ nur schlanke Leute zu. Erika
ist weich und warm und wollig-mollig, und wenn die Waage tatsächlich nicht
stimmen sollte, sie selber stimmte auf jeden Fall. Sie selber hatte sich wegen
ihres Gewichtes nie geniert, im Gegenteil, sie genoß eigentlich jedes Kilo.
    »Nun sag doch was, Ekalein«,
drängt ihre Mutter. »Ist es nicht so?«
    »Ja«, sagte Erika und schürzt
schmollend die stets etwas feuchten Lippen. Wenn man sie doch bloß in Ruhe

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