Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
kam auf Anneliese zu, und sie flüchtete lachend um den OP-Tisch herum.
    »Wenn jetzt kein Operationstag wäre, würde ich dich sofort ins Bett tragen. Und dort würden wir die Frage klären … Mit welch einem Biest habe ich mich da eingelassen …«
    Die Tür schwang auf. Pitz kam mit dem Patienten herein. Auf der Schwelle zögerte der Mann und starrte ängstlich auf den Tisch, die große OP-Lampe und die aufgebauten Instrumente.
    »Der Furunkel!« meldete Pitz. Es klang geradezu militärisch. »Auch die Gallensteine sind da.«
    »Na, dann wollen wir mal.« Herbergh hielt seine Hände von sich, und Anneliese streifte ihm die Gummihandschuhe über. Als er an den Kranken herantrat, duckte sich dieser, als wolle er einem Schlag ausweichen. »Keine Angst, es tut nicht weh. Du wirst gar nichts spüren. Zurückbleiben wird eine kleine Kreuznarbe, aber da wachsen Haare drüber.« Der Kranke nickte, obwohl er kein Wort verstand. Der deutsche Doktor war ein guter Mensch, er hörte es am Klang seiner Stimme.
    Der dritte Brief des Matrosen Herbert v. Starkenburg an seine Mutter.
    Mein Liebes, Allerliebstes!
    Eigentlich wollte ich Dir erst wieder aus Manila schreiben, aber ich muß mit Dir sprechen, weil mir das Herz zu voll ist. Vor drei Tagen noch hätte ich über alles mit Julius sprechen können, aber zwischen ihm und mir ist ein Riß entstanden. Er ist von einer schon fast wahnsinni gen Eifersucht befallen und droht mir das Schlimmste an. Grund ist ein junger und zugegeben schöner Junge, einer der geretteten Vietnamesen, mit dem ich ein paarmal – völlig harmlos – gesprochen habe. Es ist wirk lich nichts zwischen uns, aber Julius glaubt es nicht.
    Gestern, in der Nacht, ist hier an Bord wieder etwas Rätselhaftes ge schehen: Unser Funker Lothar Buchs, der Kölner, der nur Kölsch spricht und Wert darauf legt, daß Kölsch kein Dialekt, sondern eine Weltspra che ist, alarmierte uns nun schon zum zweitenmal und behauptete, je mand habe über Nacht an seiner Funkanlage gefummelt. Da niemand von uns mit diesen komplizierten Apparaten umgehen kann, muß das bei Lothar wohl ein Komplex sein, keiner nimmt ihn ernst, Stellinger nennt es sogar einen Samenkoller – er hat immer so Ferkelausdrücke zur Hand –, aber was es auch sei: Merkwürdig finde ich das doch. Ich kann nicht darüber lachen wie die anderen. Nur sehe ich kein Motiv. Wer soll nachts heimlich funken? An wen? Wohin? Und vor allem – was? Auch darauf weiß Lothar keine Antwort, und somit ist für alle das Thema be endet. Nur der Spott bleibt an Lothar hängen. Seine Antwort ist klas sisch kölsch: »Ihr könnt mer de Naachen däuen!« Was auf hochdeutsch dem Zitat aus Götz von Berlichingen entspricht.
    Mein liebes Mütterchen, das schöne Wetter scheint für eine Zeitlang vorbei zu sein. Es bläst ein steifer Wind aus Südost, ein Ausläufer eine s Taifuns soll es sein, sagt der Erste, wir bekämen jetzt die große Schaukelarie und das Massenkotzen. Das bisher goldene Meer ist jetzt schmutzig grau mit weißen, perlenden Schaumspitzen, aber der Wind ist noch warm. Wenn er kälter wird, wissen wir, daß uns der Taifun erreicht hat. Aber es sind nur die Ausläufer, die Ränder, Mama, – hab keine Angst um mich.
    Ich denke nur immer daran, was mit den kleinen, flachen Flußbooten geschieht, mit denen die Vietnamesen flüchten. Bei Windstärke 10 sind sie rettungslos verloren, schlagen voll Wasser, werden von den haushohen Wellen einfach umgeworfen. Die Menschen werden weggerissen, das Wasser zermalmt alle Aufbauten. Wieviel Hunderte werden ertrinken? Von ihnen wirst du nichts in euren Zeitungen lesen, Mutter, für sie finden keine Demonstrationen statt, ebenso wenig wie für die Menschenopfer in Afghanistan. Immer, wenn ich die zerlumpten Gestalten hier an Bord sehe, Menschen, die keiner haben will, kommt mir bei soviel Heuchelei die Galle hoch. Wie reich sind wir Deutschen, und wie hochnäsig sind wir geworden! Wir ekeln uns vor der Armut, und waren doch selbst 1945 die Ärmsten der Armen. Wie schnell und gründlich die Menschen vergessen können! Du hast mir oft erzählt, wie Du nach dem Krieg auf Hamsterfahrt gegangen bist, wie Du von den Feldern Kartoffeln und Ge müse geklaut hast, wie du Omas schöne Kaminuhr eingetauscht hast gegen Speck, Schinken und eingedoste Wurst. Sogar unseren Flügel wolltest du vermaggeln, aber da haben Vater und ich wilden Protest eingelegt.
    Nein, das stimmt nicht. Ich war da ja noch nicht geboren, ich kam ja erst 1956 zur

Weitere Kostenlose Bücher