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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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schon ein lallendes Bündel, als ich mich verabschiedete und auf die Brücke ging. Ich hatte Nachtdienst. Eine ruhige Nacht. Keine Zeichen von neuen Flüchtlingsbooten, keine Lichtsignale oder brennende Fackeln. Das schwach bewegte Meer war weit zu übersehen, wir fuhren mit halber Kraft auf die Küste zu. Nach zwei Stunden löste mich Bootsmann Hellersen ab, ich ging in meine Kabine, wusch mich und dachte, wie immer, an Julia. Und wenn ich an Julia denke , überschwemmt mich die Sehnsucht nach ihrer Leidenschaft. Eine Ver rücktheit ist es, die mich zu ihr treibt, mit keiner Vernunft mehr zu halten, denn es gibt keine Vernunft mehr. Es gibt nur noch Julia … Ich bin auf Strümpfen, um so unhörbar wie möglich zu sein, zu ihrer Kabine ge schlichen, und als ich um die Gangecke biege, sehe ich einen Mann, der an Julias Tür klopft, sich niederbeugt, durch das Schlüsselloch blicken will und ihren Namen ruft.
    Und plötzlich hatte ich den dicken Schlüssel in der Faust, schnellte laut los wie ein Raubtier auf das Opfer zu, hieb ihm auf den Schädel, und nur weil er sofort hinfiel, schlug ich nicht immer wieder zu. Aber ich zitterte vor Freude, auch dann noch, als ich in dem Niedergeschlagenen Dr. Starke erkannte.
    Erst jetzt kommt die Ernüchterung: Bin ich ein Mörder? Ist Starke tot? Ich könnte im Hospital nachsehen, als wachhabender Offizier einen Rundgang machen, diese niederdrückende Ungewißheit beseitigen. Aber könnte ich den Anblick aushalten, wenn sie mich zu Starke führen. Könnte ich den aufgeschlagenen Schädel ansehen, ohne mich durch irgendeine Reaktion zu verraten?
    Nein, ich will den Morgen abwarten. Ich werde bei Sonnenaufgang auf der Brücke stehen und mit dem Fernrohr das Meer abtasten. Und warten, bis Larsson auf die Brücke kommt und sagt: »Büchler, Sie wer den es nicht glauben. Jemand hat Dr. Starke erschlagen.«
    Und ich werde entsetzt reagieren, aber die Brücke nicht verlassen. Ich habe ja Dienst, und ein Seemann verläßt seinen Posten nicht, bis das Schiff untergeht. Und auch dann sind wir Offiziere die letzten.
    Das klingt stolz, nicht wahr? Pflichterfüllung bis zum letzten. Alles Lüge, pure Lüge. Ich bin nur feig. Zu feig, Dr. Starke anzusehen. Ein fei ger Mörder. Welch ein Weg – vom Seeoffizier zum Ungeheuer.
    Dazu hat mich Julia gemacht.
    Aber was ist, wenn Starke lebt?
    Dann habe ich noch vor mir, was ich glaubte, getan zu haben.
    Ich bin kein normaler Mensch mehr, das weiß ich. Aber was ich bin , das weiß ich nicht.
    Hung war der erste Besucher, der an Dr. Starkes Bett kam.
    Starke bekam gerade eine Infusion und war guter Dinge, auch wenn Herbergh behauptete, seine Augen seien trüb und typisch für eine schwere Commotio cerebri. Durch den zugezogenen Vorhang war es dämmerig in der Kabine, man konnte die strahlende Sonne nur ahnen. Und es war heiß im Raum, trotz der Klimaanlage. Sie schaffte es nicht, die hohen Temperaturen herunterzukühlen.
    Hung, fett, schwitzend, nach saurem Schweiß riechend, schob einen Stuhl heran und setzte sich neben das Bett. Seine kleinen, in Fettwülste eingebetteten Augen glitten mausschnell über Dr. Starke hinweg.
    »Darf ich mein Bedauern aussprechen?« sagte er mit einer Verbeugung, »und meine besten Wünsche zur baldigen Genesung bringen?«
    »Danke.« Dr. Starke winkte ab. »Vergiß dein untertäniges Gehabe, Hung! Wer ist der Freund von Phing?«
    »Sie hat einen Freund?« Hung tat sehr erstaunt. »Ich weiß nicht.«
    »Darum frage ich. Du mußt herausfinden, wer es ist.«
    »Wenn sie einen hat, Herr Doktor.«
    »Hung, sie muß einen Freund haben. Ein Gespenst kann mich nicht niederschlagen. Von uns kann es keiner sein. Also muß der Kerl bei euch zu suchen sein. Nur du kannst ihn finden. Zweihundert Dollar ist mir das wert …«
    »Ich werde Phing beobachten.« Hung leckte sich über die wulstigen Lippen. »Wie konnte man entdecken, daß Phing zu Ihnen kommt, Herr Doktor?«
    »Vielleicht durch einen Zufall. Ich weiß es nicht. Könnte sie darüber gesprochen haben?«
    »Nie, Herr Doktor. Nie.«
    »Bist du dir so sicher?«
    »Die anderen würden sie verachten.« Hungs Gesicht verzog sich wieder zu einem Grinsen. »Nicht, weil Sie ein Europäer sind. Als die Franzosen und die Amerikaner in unserem Land waren, haben Hunderttausende mit ihnen gehurt, um Schokolade, Fruchtstangen, Butter, Fett und Dosenfleisch zu bekommen. Und Nescafé. Darauf waren alle wild. Oder Pastis und Whisky und Chesterfield-Zigaretten. Aber jetzt ist das anders.

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