Das goldene Meer
Sturm gekommen. Larsson hatte es vorausgesagt, nicht auf Grund der Funkwettermeldungen, sondern wegen des rapiden Fallens des Barometers. Er informierte Dr. Herbergh und verzichtete auf alle Beschönigungen.
»Wir bekommen einen Sturm, wie ich ihn selten erlebt habe. Davonlaufen können wir nicht, er ist schneller als wir. Wie das Schiff das aushält, weiß ich nicht. Wir werden wie ein Bällchen hin und her geworfen werden. Rechnen Sie mit einer Menge Verletzten. Die Vietnamesen werden an den Wänden kleben wie müde Mücken, die Kinder herumfliegen wie Puppen. Wir werden durch eine kleine Hölle hindurch müssen. Ich sage Ihnen das, damit Sie sich darauf einrichten können. Ich selbst habe keine Befürchtungen, daß wir es überstehen. Das Problem sind die Menschen an Bord. Man kann sie ja nicht tagelang festbinden. Und Ihr pompöses Begräbnis mit Gesang, Blumengirlanden und Reden können Sie auch vergessen. Die Toten liegenlassen, ist auch nicht möglich. Unser Kühlraum ist für den Proviant da. Und bei dreißig Grad Hitze kann man keine Leichen aufheben. Wir werden sie morgen früh, im Morgengrauen, der See übergeben. Sie sind doch einverstanden?«
»Unter diesen Umständen natürlich.« Dr. Herbergh hatte nachdenklich vor sich hin gesehen. »Wir kommen also sicher in den Sturm hinein.«
»Bloß das nicht! In ein Randgebiet. Aber das reicht. Und das ist so sicher, wie ich gleich einen Whisky trinke.« Larsson war erstaunlich freundlich. Das heraufziehende Unwetter schien seinen Panzer zu zerbrechen. »Trinken Sie einen mit, Doktor?«
Am frühen Morgen, die meisten schliefen noch, nur Hung, Xuong und die in eine Decke eingehüllte Ut standen an der Bordwand, trugen Starkenburg und Stellinger den Klappsarg mit Fritz Krolls Hilfe an Deck. Neben der Tür zum Deckshaus lag die in Segeltuch eingenähte Leiche Thuys. Dr. Herbergh und Anneliese warteten mit Hugo Büchler an der aufgeklappten Reling. Der Wind blies schon stark aus Südost, die Wellen schoben sich übereinander. In zwei, drei Stunden würden sie ein Wassergebirge sein.
»Wer spricht?« fragte Anneliese. Der Sarg stand jetzt an der Reling, mit dem Fußende zum Meer leicht nach vorn gekippt. Kroll und v. Starkenburg hielten ihn hinten hoch.
»Es ist nicht viel zu sagen.« Dr. Herbergh legte die Hand auf den Sarg. »Man hat dich bestialisch umgebracht, niemand weiß, wer du bist, woher du kommst, was du bis zu deinem Tod hast erleiden müssen. Aber so sinnlos dein Sterben war, so fürchterlich grausam – vielleicht kann dein Tod doch die träge Welt aus ihrer satten Gleichgültigkeit aufrütteln. Vielleicht sind die schrecklichen Fotos von dir ein Aufruf, ein Signal, eine Verpflichtung für alle Menschen, nicht mehr blind zu sein vor dem Elend anderer Menschen. Vielleicht … Ich übergebe dich dem Meer und der Ewigkeit.«
Dr. Herbergh nickte. Fritz Kroll zog an dem Hebel, die Klappe am Fußstück öffnete sich, und der umhüllte und mit Eisenstücken beschwerte Körper der jungen Frau glitt in die Wellen, wurde von einem Brecher erfaßt und in die Tiefe gerissen.
»Es klappt!« sagte Kroll in die Stille hinein. »Den Sarg laß ich mir patentieren.« Er steckte den tadelnden Blick Dr. Herberghs weg und winkte Stellinger zu. »Der nächste bitte.«
Sie gingen zum Deckshaus, zwischen sich den Sarg, und legten Thuy hinein. Er war leicht, ein mit Haut bespanntes Gerippe, und Stellinger war morgens um fünf Uhr, aus den warmen, samtenen Armen Kims heraus, auf die Suche nach Gewichten gegangen, um den Leichnam damit zu beschweren. Schließlich fand man ganz hinten im Heck, in einem verrotteten Raum, einen Haufen Sand, von dem niemand wußte, wie er an Bord gekommen war und welchen Zweck er erfüllen sollte. Kroll vermutete, daß er Feuer ersticken sollte, die Ausrüstung, die Reeder Svenholm seinen Containerschiffen mitgegeben hatte, war nicht das Modernste gewesen. Säcke hatte man genug an Bord, und so füllte man einen mit Sand und band ihn Thuy auf den Bauch. »Jetzt sieht er aus wie Hung!« sagte Kroll völlig pietätlos. Und Stellinger knurrte: »Den hätte ich lieber eingenäht als Thuy.«
Es zeigte sich, daß Krolls Konstruktion zwar gut bemessen, aber für Hung doch zu niedrig gewesen wäre. Thuy mit seinem Sandsack paßte gerade in den Sarg, unter dem Deckel war kaum mehr ein Zentimeter Spielraum, und Kroll und Stellinger hatten anständig zu schleppen, bis sie an der offenen Reling waren. Dr. Herbergh legte auch bei Thuy die Hand auf den
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