Das goldene Meer
Nur Sie und Phing können es treiben, die anderen müssen zusehen und können sich nichts nebenher verdienen. Das macht böses Blut.«
»Ich habe doch Phing nichts gegeben, Hung!« Dr. Starke schob sich etwas höher im Bett, vorsichtig, damit die Infusionsnadel nicht aus der Vene rutschte. »Mal ein Döschen Marmelade, mal Kekse …«
»Das genügt. Die anderen haben es nicht.« Hung faltete die Hände über dem gewaltigen Bauch. »Darf ich einen bescheidenen Rat geben, Herr Doktor?«
»Ich höre.«
»Lassen Sie Phing in den nächsten Tagen nicht zu Ihnen kommen. Um so leichter kann ich ihren Freund finden.«
»Wie das?«
»Er wird sich mehr um sie kümmern. Sie werden öfter zusammen sein. Sie werden miteinander über Deck spazieren. Ein Verliebter ist der Bruder der Dummheit, sagt man bei uns.«
»Vorschlag angenommen, Hung.« Dr. Starke sah Hung forschend an. Etwas wie Abscheu lag in diesem Blick. Welch ein Schurke, dieser Fettkloß. Für fünfhundert Dollar würde er seine Tochter verkaufen, wenn er eine hätte. Aber soll man ihn deswegen verachten? Wie ist es bei uns? Da verkaufen die Waffenhändler für Millionen den Tod, ganze Industrien leben davon, ein sanktioniertes Geschäft, das gute Steuern bringt, und keiner empfindet auch nur einen Funken Scham. Nur einen kleinen Schuft wie Hung möchte man anspucken. Dabei strampelt er nur nach einem besseren Leben. »Was ist das für eine Sache mit Ut?« fragte er plötzlich.
Hung kniff die Fettaugen wieder zusammen. »Alles ein Irrtum, Herr Doktor.«
»Du hast sie nicht bedroht?«
»Aus welchem Grund? Ut ist krank, an den Nerven krank. Es ist gut, daß sie jetzt im Hospital ist. Dort kann man ihr sicherlich helfen.«
Er erhob sich schnell, das Gespräch wurde ihm zu gefährlich. Er machte vor Starke wieder eine seiner devoten Verbeugungen und verließ eilig die Kabine. Auf dem Weg zu den Lagerräumen traf er auf Le. Er saß auf einer Taurolle und starrte über das sonnenglitzernde Meer. Auf dem weiten, freien Bugdeck spielten ein paar Jungen Fußball mit einer leeren Konservendose.
»Denkst du an zu Hause?« fragte Hung und blieb vor Le stehen.
»Sie ist bei ihm«, sagte Le dumpf. Sein Gesicht war verzerrt, als habe er große Schmerzen.
»Wer ist bei wem?«
»Kim. Die ganze Nacht. Bei dem weißen Stier.«
»Woher weißt du das, Le?«
»Ich habe sie gesehen. Erst haben sie getrunken, dann haben sie sich geküßt, und dann hat er sie mitgenommen.«
»Und sie ist nicht wiedergekommen?«
»Ich sitze hier, seit sie weggegangen sind.«
»Du hast die ganze Nacht auf sie gewartet?«
»Ja. Ich liebe Kim. Sie hat mich verraten.«
Hung sah auf Le hinunter und faltete wieder seine Hände über dem Bauch. Die starre Haltung Les, seine monotone Stimme, die weder Wut, Haß oder Trauer ausdrückte, seine starren, glänzenden Augen verhießen nichts Gutes. Er war ein Mensch, der alle Gefühle in sich getötet hatte, alle Vernunft und alle Skrupel.
»Mach keine Dummheiten, Le!« sagte Hung mahnend. »Es ist schon genug auf dem Schiff passiert. Laß Mr. Stellinger in Ruhe.«
»In Manila wirft er sie weg wie eine Bananenschale. Er wird Kim zerstören!«
»Sie ist alt genug, um über sich selbst zu bestimmen.«
»Und trotzdem weiß sie nicht, was sie tut. Sie ist keine Hure, aber er hat sie dazu gemacht.«
»Du hättest sie zu dir genommen?«
»Ja.«
»Le, hast du darüber nachgedacht, wie deine Zukunft ist? Weißt du, wohin man dich bringt? Womit willst du im Ausland dein Geld verdienen? Du wirst froh sein, deinen eigenen Hunger stillen zu können. Vergiß Kim. Laß sie ihren eigenen Weg gehen.«
»Was weißt du über mich?« Le hob den Blick. Seine starren Augen erzeugten bei Hung ein Gefühl von unbestimmbarer Furcht. »Was wißt ihr alle über mich? Ich kann Kim mehr bieten, als ihr ahnt.«
An diesem Morgen erschien Stellinger im Hospital und suchte Dr. Herbergh. Pitz, der den Mann mit dem Riesenfurunkel im Nacken für die Operation vorbereitete, und gleichzeitig den gerade eingelieferten Gallensteinkranken beruhigte, der immer rief: »Ich habe keine Schmerzen mehr. Ich bin gesund! Laßt mich gehen!«, war verblüfft.
»Was willst du? Zum Chef? Wo fehlt's denn? Verklemmte Fürze kann ich auch lösen.«
»Privat will ich ihn sprechen, du Arsch.«
»Jetzt nicht. Er bereitet sich auf die Operation vor.«
»Es ist wichtig, Johann. Lebenswichtig.«
»O Gott, Franz hat einen Hodenbruch.« Pitz bückte sich, riß schnell eine halbvolle Urinflasche hoch
Weitere Kostenlose Bücher