Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
Vom Netzwerk:
unser verabredetes Zeichen klopfte. Fast zehn Minuten habe ich geklopft, dann habe ich es aufgegeben. Plötzlich war wieder Mißtrauen da und diese schreckliche, eisenklammerähnliche Eifersucht. Ich bin zu Dr. Starkes Kabine gegangen, habe auch dort geklopft und die Klinke heruntergedrückt. Dr. Starke lag nicht in seinem Bett. Zwar war das Bett benutzt, aber er war nicht da. Wo ist ein Arzt um fast zwei Uhr morgens auf einem Schiff? Das Naheliegendste: bei seinen Patienten.
    Unter Deck, bei den Vietnamesen, war er nicht. Sie schliefen alle, nur ein älterer Mann saß an der Wand und hob grüßend die Hand. Auch im Hospital und im Verbandsraum war Dr. Starke nicht, weder an Deck, noch auf der Brücke. Wo, zum Teufel, war er um diese Zeit?
    Und Julia öffnete auf mein Klopfen hin nicht ihre Kabinentür.
    Die Eifersucht zerfrißt mich. Noch heute, zehn Tage nach dieser Nacht. Ich habe Julia nicht gefragt, aus Angst, sie könnte mich anlügen. Auch sie hat nichts gesagt. Es kann ja wirklich sein, daß sie mein Klopfen nicht gehört hat. Kann! Es ist auch möglich, daß Dr. Starke bei Dr. Burgbach gewesen ist, aber ich traue Anneliese nicht zu, sich an einen solchen Windbeutel zu hängen. Aber was heißt zutrauen? Man kann einem Menschen nur ins Gesicht sehen, nicht dahinter. Wer von uns weiß, welch ein Mensch Anneliese ist? Wer kennt hier überhaupt den anderen so genau, daß er ihn beurteilen könnte? Das trifft auch auf Julia zu. Mit ihr im Bett zu liegen, bedeutet noch nicht, ihr Wesen zu kennen. Ich kenne ihren Körper, ich kenne ihren Atem, ihr Seufzen, ihr Gestammel, ihre Lippen, ihr Haar und die Wirkung ihrer Fingernägel, wenn sie sich in meinen Rücken krallt – aber reicht das? Das sind nur Äußerlichkeiten. Den Menschen Julia, wie er wirklich ist, wird man nie ergründen. Es gibt keinen Menschen, der nicht zeit seines Lebens ein Geheimnis bleibt. Jeder Mensch ist unergründlich.
    So ist das nun: Mit 38 Jahren verliere ich den Verstand wegen einer Frau. Ich ertappe mich, wie ich manchmal über das Meer stiere, ohne etwas anderes zu denken als an Julia. Selbst Kapitän Larsson fällt das auf. Und er ist ein Mann, der wahrhaftig nicht zart besaitet ist. »Was ist los mit Ihnen, Büchler?« fragte er mich vor drei Tagen. »Sie starren in die See, als wollten Sie Fische hypnotisieren. Bedrückt Sie was?«
    Er fragt so etwas, dieser Mann, der ein Teil seines Schiffes ist und sonst nichts. Fragt mich tatsächlich: »Bedrückt Sie was?« Er spürt etwas. Wie weit ist es mit mir gekommen. Ich muß es immer wiederholen! Ich kenne mich selbst nicht mehr. Und dann die Frage, die jetzt immer in mir bohrt und bohrt und mich aushöhlt: Was mache ich, wenn Dr. Starke wirklich Julia ins Bett bekommen hat? Was mache ich bloß? Wir müssen noch über fünf Monate – wenn nicht mehr – zusammen auf diesem Schiff leben. Fünf Monate mit dem Wissen, daß Julia und Dr. Starke mir Hörner aufgesetzt haben, fünf Monte lang muß ich weiterhin sein süffisantes Gesicht sehen, sein Playboy-Gehabe, seine sarkastischen Reden hören, sein affiges Benehmen ertragen. Und jedesmal, wenn ich Julia ansehe, stelle ich mir vor, wie sie in seinen Armen liegt. Wer kann das ertragen? Fast ein halbes Jahr lang? Tag für Tag, Nacht für Nacht?
    Ich weiß nicht, wie ich das aushalte. Soll ich Dr. Starke in einem günstigen Augenblick über Bord werfen?
    Soll ich beim nächsten Bunkern in Manila oder Singapur abmustern? Aber das wäre eine Flucht vor der großen Verpflichtung, die ich übernommen habe. Flüchtet man wegen einer Frau vor der Verantwortung anderen Menschen gegenüber?
    Fragen über Fragen, und keiner kann mir eine Antwort geben. Keiner einen Rat. Keiner einen Zuspruch. Ich muß allein durch diese Not.
    Und ich liebe Julia.
    Vier Tage nach ihrer Rettung gebar Thi Trung Linh einen Jungen. Ein runzeliges Kerlchen, aber gesund, wie Dr. Herbergh dem glücklichen Vater Cuone bestätigte. Cuone bestand darauf, seinen Sohn ›Duc‹ zu nennen – so heißt Deutschland auf vietnamesisch. Am nächsten Morgen nach der Geburt, es war ein Sonntag, taufte Lam Van Xuong den Kleinen mit Süß- und Meerwasser. Dann sangen alle Vietnamesen ein Heimatlied, ballten danach die Fäuste und riefen im Chor: »Nieder mit dem Kommunismus! Es lebe Vietnam!« Dazu schwenkten sie Fähnchen aus gelben und roten Stoffetzen, die sie genäht hatten, die Farben Südvietnams.
    Dr. Starke, der abseits stehend der Feier zusah, sagte zu Hugo Büchler: »Kaum atmet der

Weitere Kostenlose Bücher