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Das goldene Meer

Das goldene Meer

Titel: Das goldene Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Krankenpfleger, ärgerte sich darüber. Kätzchen, das klang so vertraut, so schmeichlerisch, so andeutungsvoll. Er gebrauchte ihn nie, wenn er sich mit Julia im Proviantbunker traf und sie auf einer Decke hinter Kisten, Kartons und Reissäcken liebte. In ihre Kabine, über Nacht, durfte er nicht. Zu gefährlich, man sieht uns, stell dir vor, es gibt Alarm und du kommst aus meiner Kabine. Pitz sah das ein und wurde so nie eine Gefahr für Hugo Büchler oder Dr. Starke, unter denen sie ihre Nächte aufteilte. Es war ein sehr anstrengendes und gefährliches Spiel, aber Julia blühte dabei auf wie eine exotische Blume.
    Im Kreis, der Cuong, Thi und den kleinen Duc umringte, stand auch Oberbootsmann Stellinger. Er war der Freund aller Geretteten geworden, saß oft unten in den großen Wohnkammern bei ihnen und hörte ihre Geschichten an, soweit die Vietnamesen noch Französisch sprachen, aß sogar mit ihnen, was auf dem Achterdeck, in der neu gebauten Küche, einige Frauen kochten, und wurde von den Kindern Onkel genannt.
    Stellinger, ein Bär von einem Mann, benahm sich auch wie ein tapsiger Bär. Sein besonderes Interesse galt einem hübschen, zierlichen Mädchen, das aussah wie einem fernöstlichen Gemälde entstiegen. Die langen, schwarzen Haare fielen meist über das schmale Gesicht mit den ausgeprägten Wangenknochen, wenn sie auf der Decke saß und Matten flocht, oder wenn sie das Essen austeilte, das vier Männer in dampfenden Henkelkesseln unter Deck schleppten. Oft stand sie auch auf dem Vorschiff und schaute aufs Meer, vor allem bei Sonnenauf- und Sonnenuntergang, als könne sie von dem Brennen des Horizonts und dem wogenden Gold der Wellen nicht genug bekommen. Wenn fliegende Fische das Schiff begleiteten, klatschte sie begeistert in die Hände; die durchsichtigen Flügelflossen der Fische schimmerten wie goldenes Filigran, wie hauchdünne, goldene Federn.
    Von Xuong, den Stellinger beiläufig fragte, erfuhr er den Namen des Porzellanmädchens: Kim Thu Mai.
    »Wie redet man sie an?« fragte er.
    »Kim«, sagte Xuong und blickte Stellinger nachdenklich an.
    »Mai finde ich schöner. Der Mai, weißt du, ist bei uns der schönste Monat im Frühling. Da beginnt alles zu blühen, im Mai verändert sich der Mensch, jedes Jahr. Verstehst du, was ich meine?«
    Sie sprachen Englisch miteinander. Xuong, der Lehrer, war wirklich ein kluger Mann. Er konnte Französisch, Englisch, ein wenig Chinesisch und ein paar Worte Deutsch. Für einen Vietnamesen erstaunlich. »Deutsch?« hatte Stellinger verblüfft gefragt, als Xuong, nach drei Infusionen wieder kräftig genug, ihn mit einem gutturalen »Gutten Taag!« begrüßte.
    »Ich – Kind –« hatte Xuong mit einem freudigen Lächeln geantwortet. »Damals … Français … Légion d'Etranger … beaucoup Deutsche … vill Deutsche …« Und dann hatte er mit noch rauher, kratzender, vom Salzwasser zerfressener Stimme gesungen: »Oin Männlain stett im Uwalde, ganz stilll und stumm …« Da hatte Stellinger Xuong umarmt und an sich gedrückt.
    Nach Stellingers Erläuterung zum Namen Mai nickte Xuong. »Ich verstehe«, antwortete er. »Mai – Frühling – Liebe –«
    »Das wollte ich damit nicht sagen!« Stellinger, der Bär, wurde verlegen. »Also Kim heißt sie.«
    »Wenn du Mai zu ihr sagst und es ihr erklärst, wird sie nichts dagegen haben, daß du sie Mai nennst. Sie kann übrigens auch Englisch. Hat es auf einer Missionsschule gelernt.«
    »Sie ist auch getauft?«
    »Ja. Viele von uns. Das ist auch ein Grund, warum wir Vietnam verlassen haben. Über eine Million sind schon seit 1954 geflohen, ihres Glaubens wegen. Bis 1975, als die Amerikaner sich zurückzogen und Millionen meiner Landsleute mit ihnen flüchteten, hatten wir in Südvietnam 10.300 Schulen mit über 3.100.000 Schülern und über 1 Million Schüler an privaten Schulen. Dann wurde alles verstaatlicht und enteignet, vor allem die privaten und kirchlichen Schulen, jetzt ist das oberste Gebot der Erziehung der Marxismus-Leninismus.«
    »Und warum bist du, als Lehrer, erst jetzt geflohen?«
    »Ich liebe mein Land«, sagte Xuong einfach. »Aber sie töten alle Liebe, und eines Tages steht man da ohne Seele.«
    Diese Unterredung beschäftigte Stellinger seitdem immer wieder. Er hatte Kim, die er heimlich Mai nannte, in diesen Tagen mehr als notwendig beobachtet, überwachte als Hilfskraft von Dr. Herbergh die Infusionen für sie, war ein rundum glücklicher Mensch, als sie schnell wieder so zu Kräften kam,

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