Das goldene Ufer
Hand eine kleine Zwiebel. Als der Mann sie nicht losließ, strich sie ihm damit durch das Gesicht.
Zuerst glaubte er noch, es wäre eine zärtliche Geste, dann aber brannten ihm die Augen und begannen zu tränen. Im nächsten Moment musste er kräftig niesen.
Gisela schlüpfte an ihm vorbei und eilte in die Küche.
»Ich hoffe, unsere Gäste verlassen uns bald wieder«, rief sie zornig.
»Was ist denn geschehen?«, fragte Cäcilie.
Mit einer energischen Bewegung stellte Gisela ihren Korb auf den Tisch. »Baron Fahrenhorst hat eben der Hafer gestochen. Er wollte mich doch glatt in eine der Lauben drängen. Aber dem habe ich mit einer Zwiebel heimgeleuchtet. Ich glaube, der weint jetzt noch, und das nicht nur, weil ihm ein Vergnügen entgangen ist!«
Cäcilie lachte schallend. »Du hast dich also mit einer Zwiebel gewehrt. Da werden ihm freilich die Tränen gekommen sein. Geschieht ihm recht! Was muss er auch auf verbotenen Pfaden wandeln. Lass es dir eine Lehre sein und geh nicht mehr allein hinaus. Wenn dich einer der Gäste in die Büsche zieht und dir Gewalt antut, wird ihn niemand dafür zur Rechenschaft ziehen.«
»In Zukunft trage ich immer eine aufgeschnittene Zwiebel in meiner Schürzentasche und reibe jedem, der mir zu nahe kommt, das Gesicht damit ein«, antwortete Gisela kämpferisch.
»Heult Baron Fahrenhorst etwa deswegen wie ein kleiner Junge, dem man sein Steckenpferd weggenommen hat?«
Luise Frähmke war neugierig in die Küche gekommen und hatte Giselas letzte Worte gehört. Auch sie schmunzelte, stieß dann aber in das gleiche Horn wie Cäcilie und wies Gisela an, die Küche nicht mehr allein zu verlassen.
»Und was ist mit dem Abtritt?«, fragte das Mädchen und erhielt dafür eine spielerische Ohrfeige von Frau Frähmke.
»Werde mir ja nicht frech! Aber auch dorthin wird dich jemand begleiten, hast du verstanden?«
»Ja!« Während Gisela noch darüber nachsann, wie ungerecht es war, dass sie wegen der Gäste wie eine Gefangene leben musste, ging die Tür auf und Gräfin Renitz trat ein. Sie musterte Gisela mit dem Ausdruck sichtlichen Unwillens.
»Hier bist du! Unsere Gäste verlangen nach dir. Du sollst sie bedienen.«
Bisher hatte Frau Frähmke nur selten Einwände auf Befehle ihrer Herrin gewagt, doch diesmal sah sie sich dazu genötigt. »Ich weiß nicht, ob dies gut ist, Erlaucht. Einige der männlichen Gäste bewahren nicht die nötige Schicklichkeit im Umgang mit Gisela.«
Der Blick der Gräfin wurde womöglich noch kälter. »Eine Magd sollte wissen, dass sie stillhalten muss, wenn ein Herr etwas von ihr wünscht. Und jetzt zieh dich um! An deinem Kleid klebt ja noch Erde.« Nach diesen Worten rauschte Gräfin Elfreda davon und ließ Gisela, die Mamsell und Cäcilie in einem Zustand hilfloser Wut zurück.
»So sind sie, die feinen Herrschaften! Nach außen hin tun sie fromm und sittsam, doch insgeheim lachen sie über das dumme Volk, das sich an die Gesetze halten muss, während sie sich – in aller Diskretion natürlich – darüber erhaben fühlen«, schimpfte die Köchin.
Gisela war bleich geworden, ballte aber die Fäuste. »Eher gehe ich auf Tagelohn, als dass ich den Gästen Ihrer Erlaucht zur Belustigung diene.«
»Das wäre keine Lösung«, wandte Frau Frähmke ein. »Als Tagelöhnerin bist du den Begehrlichkeiten der Bauern ebenso ausgeliefert wie denen ihrer Knechte. Manche geben dir nur dann Arbeit, wenn du – wie Ihre Erlaucht es ausdrückte – stillhältst. Uns wird etwas anderes einfallen müssen. Doch jetzt solltest du dich schnell umziehen und die Gäste bedienen. Sorge dafür, dass du nie mit einem oder mehreren Herren allein bist. Sollten diese Botengänge in ihre Zimmer verlangen, beauftrage einen Lakaien damit.«
Die Mamsell lächelte Gisela kurz zu und schob sie zur Tür hinaus. Sie begleitete sie in ihre Kammer und dann weiter in den Damensalon. Dort konnte sie Gisela fürs Erste allein lassen.
Als Frau Frähmke in die Küche zurückkehrte, stand Cäcilie mitten im Raum, den Kochlöffel in der Hand. Ihrem Gesicht nach schien sie sich vorzustellen, das Ding einem aufdringlichen Herrn über den Schädel zu ziehen.
»Gisela muss heiraten – und zwar bald!«, erklärte die Mamsell entschlossen. »Sollte sie dies weiterhin wegen ihres Glaubens ablehnen, können wir ihr nicht mehr helfen. Spätestens wenn der junge Herr zurückkehrt, wird sie Osmas Schicksal und das einiger anderer Mägde teilen. Graf Diebold hat einen schlechten Charakter und
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