Das goldene Ufer
während Diebold sich fragte, was dieser Rüffel bedeuten solle, machte seine Mutter ihm ein Zeichen. Sogleich verbeugte er sich vor Medard von Renitz. »Verzeiht, Herr Vater, doch meine Frau Mutter möchte mit mir sprechen.«
»Was heißt hier Vater?«, fuhr der Greis auf. »Im Dienst hast du mich Herr Oberst zu nennen! Noch einen solchen Fauxpas, und ich lasse dich Spießruten laufen.«
In diesem Augenblick griff Gräfin Elfreda ein. »Verzeiht, mein Gemahl, doch ich muss mit unserem Sohn sprechen und ihn in Eurem Sinne zurechtweisen.« Sie gab Diebold einen Wink, ihr zu folgen, und ließ ihm gerade noch die Zeit für eine Verbeugung.
Auf dem Flur blieb sie stehen. »Wie du unschwer erkennen kannst, hat sich der Zustand deines Vaters nicht gebessert.«
»Dann werdet Ihr erlauben, dass ich einen Arzt rufen lasse, der seine Unzurechnungsfähigkeit bescheinigt! Es ist wohl dringend notwendig, dass ich seinen Platz einnehme.«
Die Gräfin begriff, dass sie ihren Sohn diesmal nicht von seinem Vorhaben würde abhalten können, und fühlte Enttäuschung und Wut in sich aufsteigen. Solange ihr Gemahl noch lebte, hatte sie die Zügel in der Hand halten wollen. Immerhin war sie mehr als zwanzig Jahre jünger als Medard von Renitz und noch voller Kraft. Das Gefühl, ihre Jugend und ihr Leben einem Sohn geopfert zu haben, der es nicht verdiente, ließ sie in Tränen ausbrechen. »Du bist so undankbar! Dabei habe ich alles für dich getan«, schluchzte sie und verschwand mit rauschenden Röcken in ihren Gemächern.
Diebold sah ihr grinsend nach. Endlich hatte seine Mutter begriffen, wer in Zukunft hier das Sagen hatte. Um dies auch den anderen im Schloss zu zeigen, wollte er bereits nach Imma rufen, besann sich aber eines Besseren. Die Zofe seiner Mutter hatte ihm mitgeteilt, dass Walther mindestens noch zehn Tage ausbleiben würde. Daher hatte er Zeit und Gelegenheit genug, sich um Gisela zu kümmern. Wenn sie sich ihm nicht freiwillig hingab, würde er sie erneut dazu zwingen und dabei womöglich noch größeren Spaß haben.
Bevor er zum Forsthaus aufbrach, befahl er einem Diener, ihm eine Flasche Branntwein zu bringen, und trank diese in kurzer Zeit leer. Der Schnaps brannte wie Feuer in seinem Leib und verstärkte seinen Drang, Gisela zu besitzen. Durch die Trunkenheit schwand auch seine Angst vor Walther, unter der er die letzten Wochen gelitten hatte, und er freute sich darauf, diesen Streber auf den Platz zu verweisen, der dem Kerl zustand.
Mit diesem Gedanken machte er sich auf den Weg quer durch die ausgedehnten Parkanlagen. Unterwegs erinnerte er sich daran, wie oft Walther ihn in den Schatten gestellt hatte. In der Schlacht von Waterloo hatte es begonnen. Während er selbst einem toten Franzosen die Börse abgenommen hatte, war es Walther möglich gewesen, seinem Vater das Leben zu retten. Später war der Kerl der bessere Schüler gewesen und auch der bessere Student. Zu allem Überfluss besaß diese Dienerkreatur nun ein Weib, das seine eigene Verlobte, die Comtesse Aldegund von Rossipaul, an Schönheit und Anmut weit übertraf. Das Einzige, was für Aldegund sprach, war ihre edle Abkunft und die ansehnliche Mitgift. Ansonsten war sie ein blasses, schmales Geschöpf ohne die gerundeten Formen, die eine Frau erst ausmachten.
Als er das Forsthaus erreichte, fand er die Tür verriegelt. Sämtliche Fensterläden waren geschlossen, und es war kein Laut zu hören. Diebold klopfte an, erhielt aber keine Antwort. Verärgert pochte er erneut gegen die Tür. »Gisela, ich weiß, dass du drinnen bist. Mach auf! Das ist ein Befehl!«
Auch jetzt blieb alles still. War die junge Frau ins Dorf gelaufen, oder versteckte sie sich vor ihm im Wald?, fragte er sich. Da bemerkte er durch den Spalt eines Fensterladens eine Bewegung.
»Mit mir treibst du keine Spielchen«, murmelte er und nahm die massive Tür in Augenschein. Unwillkürlich sah er sich um und entdeckte ein Stück vom Haus entfernt einen Hackstock, in den eine Axt geschlagen war. Mit einem zufriedenen Lachen zog Diebold sie heraus.
»Gisela! Entweder machst du jetzt die Tür auf, oder ich schlage sie ein!«, drohte er.
Da er keine Antwort bekam, trieb er das Blatt der Axt neben dem Schloss ins Holz. Das Geräusch hallte misstönend durch den Wald, und er erschrak, weil man den Lärm möglicherweise bis zum Schloss hören konnte. Dann aber lachte er über sich selbst. Kein Bediensteter würde ohne Befehl hierherkommen und nachschauen. Außerdem ging es
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