Das goldene Ufer
trocken zu reiben. Als sie nach einer knappen Stunde das Forsthaus erreichte, war sie ganz außer Atem. Sie stützte sich in der Küche ab und sah unwillkürlich in den kleinen Spiegel, der an der Wand über der Anrichte hing. In dem Moment war sie froh, dass Walther nicht da war, denn sie hätte ihm das bleiche, vor Entsetzen verzerrte Gesicht, das ihr nun entgegensah, nur schwerlich erklären können.
Schnell schob sie den Riegel an der Haustür vor und schwor sich, diesen erst wieder zu lösen, wenn Walther zurückkam und Einlass begehrte. In den nächsten zwei Stunden packte sie alle Teile, die sie in der großen Truhe mitnehmen wollten, einzeln in die von ihr genähten Segeltuchtaschen und legte das Kleid heraus, das sie während des ersten Teils der Reise tragen wollte. Als sie nichts mehr zu tun fand, saß mit erstarrter Miene auf ihrem Bett.
Sie spürte einen alles überwältigenden Zorn in sich aufsteigen, weil Walther und sie aus der Heimat fliehen mussten, während Diebold hierbleiben konnte und nicht die geringste Strafe zu befürchten hatte. Doch die Welt war nun einmal ungerecht, und sie konnte nur Trost in dem Glauben finden, dass die Heilige Jungfrau sich ihrer im anderen Leben annehmen und sie als reine Seele vor Gottes Thron führen würde.
»Heilige Maria, Muttergottes, hilf mir armen Sünderin!«, flehte sie unter Tränen, kniete nieder und sprach all die Gebete, die man sie bei den Nonnen gelehrt hatte. Sie betete immer noch, als die Dämmerung hereinbrach und die ersten dunklen Schatten der Nacht aufzogen. Erst als es so finster war, dass sie die Umrisse im Zimmer nicht mehr erkennen konnte, stand sie auf und tastete sich in die Küche zurück.
Der Herd war kalt, und sie musste erst das aus einem Gewehrschloss gefertigte Feuerzeug suchen. Dazu brauchte sie noch Pulver und ein wenig Reisig, um eine Flamme erzeugen zu können. Bis alles gefunden war, hatte sie sich die Schienbeine einige Male an Stühlen und Schränken angeschlagen und wünschte sich, so fluchen zu können wie ein Mann.
Endlich brannte ein Feuer auf dem Herd, und sie konnte mit einem Kienspan die Öllampe anzünden. Das Licht brachte ihr aber nicht den erhofften Frieden, denn dort, wo der Schein der kleinen Flamme nicht mehr hinreichte, glaubte sie Schemen zu sehen, die sich ihr näherten und wieder verschwanden, bevor sie sie richtig erkennen konnte.
Das Gefühl der Bedrohung wurde so übermächtig, dass Gisela die Doppelbüchse ihres Mannes aus dem Schrank holte und einen Lauf mit Rehposten und den anderen mit einer normalen Bleikugel lud. Doch was sollte ihr die Waffe gegen Geister nutzen?
Verärgert über ihre Ängstlichkeit, stellte sie die Büchse in eine Ecke und setzte sich an den Tisch. Ein kleines Büchlein, das Schwester Magdalena ihr beim letzten Abschied gegeben hatte, machte ihr schließlich ein wenig Mut, und sie fragte sich, wie es der freundlichen Nonne ergehen mochte. Es tat ihr leid, dass sie nicht zu ihr fahren konnte, um sich von ihr zu verabschieden, denn die Adresse auf dem Brief war unleserlich gewesen, und die Klostergemeinschaft hatte nicht auf ihre Bitte geantwortet, ihr Schwester Magdalenas neue Adresse mitzuteilen.
Komm zurück, Walther, und bring mich von hier fort!, flehte sie ihren Mann in Gedanken an. Dann legte sie den Kopf auf die Arme und ließ die Tränen fließen. Noch während sie sich fragte, ob ihr weiterer Lebensweg ins Licht führen oder auf Dauer durch Diebolds schändliche Tat verdüstert werden würde, schlief sie ein und wachte erst am Morgen wieder auf. Ihr war kalt, und sie fühlte sich so steif und zerschlagen wie eine alte Frau.
Gisela überlegte, sich noch eine Weile ins Bett zu legen, gleichzeitig aber wollte sie um nichts in der Welt Walthers Rückkehr verpassen. Daher schürte sie den Herd mit dem Rest Glut an, um sich einen Pfefferminztee zu machen, der sie innerlich wärmen sollte.
13.
D iebold hatte weitaus besser geruht als Gisela. Zufrieden aber war auch er nicht. Das Verbot seiner Mutter, sich Imma oder eine der anderen Mägde zum Zeitvertreib zu holen, galt noch immer, und er hatte überdies erfahren, dass Gisela an diesem Tag nicht ins Schloss gekommen war. Doch auf diese Weise, das schwor er sich, würde sie sich ihm nicht entziehen können.
Immer noch verärgert, hatte er gefrühstückt und stand nun seinem Vater gegenüber, der ihn tadelnd musterte. »Weshalb trägst du keine Uniform, Fähnrich Renitz? Dieses Verhalten kann ich nicht dulden!«
Noch
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