Das goldene Ufer
seine ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um die Schmerzen vor seiner Frau zu verbergen. Sein Trost war, dass die weitere Reise ohne Probleme vonstattenging. Sie kamen unbehelligt über die Grenze zwischen dem Kurfürstentum und dem Großherzogtum Hessen und erreichten schließlich die Stadt Frankfurt. Dank Bendhackes Schreiben erhielten sie überall Unterkunft und Verpflegung und wurden tatsächlich bevorzugt behandelt.
In Frankfurt stand Walther der Gang zum preußischen Geschäftsträger in der freien Reichsstadt bevor. Ein Knecht der Poststation begleitete ihn zu dessen Residenz und versprach, auf ihn zu warten, damit er sich den Rückweg nicht erfragen müsse.
Walther begriff, dass es dem Mann darum ging, in einer nahe gelegenen Schenke ein paar Becher jenes säuerlichen Gesöffs zu trinken, das hier mit dem Namen Apfelwein geadelt wurde. Er selbst hatte es am Vorabend probiert und gefunden, dass er Bier bei weitem vorzog. Trotzdem reichte er dem Mann einen Groschen Trinkgeld und trat dann auf das Eingangstor der durch zwei Soldaten bewachten preußischen Gesandtschaft zu. Ein Unteroffizier versperrte ihm den Weg.
»Wer sind Sie und was wünschen Sie?«
»Ich bin Dr. Artschwager und wünsche den Residenten oder einen anderen Herrn in leitender Stellung zu sprechen!« Walther wappnete sich mit Arroganz gegen den ruppigen Ton des Feldwebels und hatte Erfolg. Der Mann ließ ihn ein und führte ihn zu einem Beamten, der den Besucher wie einen unerwünschten Bittsteller musterte.
»Sie wünschen?«
»Ich bin Dr. Artschwager und wünsche die Hilfe der preußischen Gesandtschaft«, antwortete Walther.
»Wenn Sie in Geldverlegenheiten sind, wenden Sie sich besser an Ihre Freunde oder eine Bank«, antwortete der Beamte und wollte ihm die Tür vor der Nase zuschlagen.
Walther stellte gerade noch rechtzeitig einen Fuß dazwischen. »Was soll das?«, rief er empört. »Wollen Sie, dass ich mich in Berlin über Sie beschwere?«
Der Ton verfing, denn der Beamte öffnete nun die Tür wieder und bat Walther einzutreten. »Was wünschen Sie, mein Herr?«, fragte er jetzt um einiges höflicher.
Walther zog seinen durch Schlamm und Wasser fast unleserlich gewordenen Pass aus der Westentasche und legte ihn auf den Tisch des Beamten. Bevor dieser fragen konnte, was dies solle, reichte er ihm Bendhackes Schreiben, in dem dieser von dem Kutschenunglück berichtete.
»Wie Sie sehen, befinde ich mich ein einer unangenehmen Situation«, erklärte Walther. »Ich bin auf der Durchreise und muss auf meinem weiteren Weg noch einige Grenzen passieren. Dafür aber brauche ich einen neuen Pass. In meine Heimatstadt zurückzukehren und mir dort ein neues Dokument ausfertigen zu lassen wäre mit einem zu großen Zeitverlust und erheblichen Ausgaben verbunden, die ich mir ersparen will. Daher wäre es mir eine große Ehre, wenn mir hier ein neuer Pass ausgestellt werden könnte.«
Der andere starrte zuerst den unlesbar gewordenen Pass an, überflog die Bescheinigung des Posthalters und wandte sich dann wieder Walther zu. »Ich werde sehen, was ich für Sie tun kann. Wenn Sie inzwischen die Güte hätten, hier zu warten.« Nach diesen Worten nahm er beide Dokumente an sich und verschwand durch eine Seitentür.
Die Sekunden dehnten sich zu Minuten, die Walther wie Stunden vorkamen. Da er vor Unruhe fast verging, sah er sich in dem Zimmer um und fand es kärglich möbliert. Es gab einen Aktenschrank, den Schreibtisch mit einem einzigen Stuhl und an der Wald zwei Bilder, von denen eines Friedrich den Großen und das andere den derzeit regierenden König Friedrich Wilhelm III. zeigte.
Bei seinem unruhigen Hin- und Hergehen sah er auf einer Anrichte einen Stapel bedruckter Papiere liegen. Das oberste Blatt zog seinen Blick wie magnetisch an. Er las »Gesucht werden« und darunter Giselas und seinen Namen. Das Herz klopfte ihm bis zum Hals, und er erwartete jeden Augenblick, dass der Beamte in Gesellschaft mehrerer Soldaten zurückkehren und ihn gefangen nehmen lassen würde.
Aber dann sah er die schlechte Zeichnung, die sein Porträt darstellen sollte, und las die Personenbeschreibung. »Walther Fichtner ist mittelgroß, untersetzt und hat ein gewöhnliches Gesicht mit einem unsteten Blick. Seine Haarfarbe ist braun. Besondere Kennzeichen: keine!«
Nun war Walther der Ansicht, zwar kein Adonis zu sein, aber doch recht gut auszusehen. Auch hielt er seine Figur trotz breiter Schultern noch für schlank und seine Haare für dunkelblond.
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