Das goldene Ufer
nach Le Havre benützen. Werden Sie südlich davon angetroffen, müssen wir Sie leider verhaften und einsperren, da Sie uns über den wirklichen Zweck Ihrer Reise belogen haben. Und nun bon voyage und au revoir. Die Postkutschenstation der Linie nach Nancy ist im nächsten Ort. Die Bauern bringen Sie gerne hin!« Damit reichte er Walther den Pass zurück und machte ihn auf einige Männer aufmerksam, die mit ihren Pferdekarren hinter dem Wachhaus auf Reisende warteten, die ihr Gepäck zur Poststation bringen lassen wollten.
»Danke!« Erleichtert steckte Walther seine Papiere ein, nahm Koffer und Reisetasche an sich und stapfte los. Gisela folgte ihm und zupfte ihn am Ärmel.
»Was heißt das, dass man dich einsperren will, wenn wir nicht auf dieser Strecke bleiben?«
»Sie wollen, dass wir den schnellsten Weg nach Le Havre nehmen«, antwortete Walther nachdenklich. »Ich nehme an, dass es ihnen vor allem darum geht, uns aus Paris fernzuhalten. Es hat sie misstrauisch gemacht, dass wir mit kleinem Gepäck reisen. Ohne das Schreiben des freundlichen Posthalters hätte man uns wahrscheinlich gar nicht ins Land gelassen. So aber könnten wir doch ehrliche Auswanderer sein und keine möglichen Attentäter. Mit dem Kugellauf der Büchse könnte ich einen Menschen auf dreihundert Schritt erschießen, ohne dass man mich fassen könnte. Daher sollten wir dieses Land so schnell wie möglich durchqueren, auch wenn es anstrengend werden dürfte.«
»Ich halte schon durch!« Gisela gelang es zu lächeln, obwohl sie sich von der bisherigen Reise so erschöpft fühlte, dass sie am liebsten drei Tage lang im Bett geblieben wäre. Doch sie konnte Walther verstehen. Nachdem es ihnen gelungen war, den preußischen Behörden zu entkommen, wollte er nicht riskieren, von den Franzosen wegen eines dummen Missverständnisses eingesperrt zu werden.
»Wir schaffen das!«, sagte sie, als wolle sie es sich selbst betätigten, und nahm ihm die Reisetasche ab. »Du hast mit dem Koffer bereits schwer genug zu tragen!«
Walther wollte ihr das Gepäckstück wieder abfordern, doch da trat einer der Bauern auf sie zu und fragte in einem stark von Dialekt geprägten Deutsch, ob die Herrschaften zur Poststation wollten.
»Genau die ist unser Ziel«, antwortete Walther und reichte ihm den Koffer, damit der Mann ihn auf seinen Wagen laden konnte.
10.
I n der Grenzregion war die Bevölkerung noch der deutschen Sprache mächtig und die Verständigung daher kein Problem. Doch je weiter Gisela und Walther nach Westen kamen, umso schwieriger wurde es für sie. Hatte Walther zuerst noch gehofft, seine Lateinkenntnisse würden ihm helfen, erwiesen diese sich für den Kontakt zu Postillionen und Wirten eher als Hemmschuh. Es wurden zu viele Worte anders geschrieben und vor allem auf eine für ihn ungewohnte Weise ausgesprochen. Gisela tat sich leichter als er. In den Jahren, in denen sie mit ihren Eltern mit den jeweiligen Regimentern mitgezogen war, hatte sie etliche französische Brocken aufgeschnappt und erinnerte sich nun wieder daran.
Auf ihn wirkte sie hier in der Fremde weitaus lebhafter als zu Beginn der Reise. Es schien, als wäre der Schatten von Renitz, der sie so lange gequält hatte, von ihr gewichen. Wenn sie in den Poststationen übernachteten, kroch sie zu ihm unter die Decke.
Gisela wunderte sich selbst, weshalb ihre Lust stieg, obwohl sie doch schwanger war. Manchmal fragte sie sich, ob sie sich Walther nicht zuletzt deswegen anbot, um ihn stärker an sich zu binden. Sie hatte ihm immer noch nicht erzählt, dass sie ein Kind in sich trug, und das wollte sie auch noch hinausschieben, bis sie Le Havre erreicht hatten und sich auf einem Schiff befanden, das sie nach Amerika brachte. Möglicherweise, dachte sie, würde er sich von ihr abwenden, wenn ihn der Verdacht beschlich, er könne nicht der Vater des Kindes sein. Obwohl sie sich sagte, dass er nichts von ihrer Vergewaltigung durch Diebold wissen konnte, litt sie immer wieder unter Schuldgefühlen. Dabei war sie doch nur das Opfer von Diebolds Gier geworden.
Walther entging nicht, dass ein Kummer an seiner Frau nagte, aber das schrieb er ihrer Angst vor der Fremde und vor allem vor der Überfahrt auf dem Ozean zu. Daher genoss er es unbeschwert, sie unter sich zu spüren und sich selbst und ihr Vergnügen zu bereiten. Er fühlte sich erleichtert, denn er hatte sich von den Banden befreit, die ihn so lange an Renitz gefesselt hatten. In manchen Momenten bedauerte er Medard von
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