Das goldene Ufer
zu verständigen. Diese sah ihn nur kopfschüttelnd an und wies auf die Weinflasche.
»Wie es aussieht, ist die für alle am Tisch bestimmt«, schloss Walther aus ihren Gesten und sah zu den beiden Männern, die noch immer die Bratspieße drehten. Gerade betraten ein älterer Mann und ein junger Bursche, dessen Ähnlichkeit mit der Wirtin verriet, dass es sich um deren Sohn handelte, die Wirtsstube. Trotz der Strohmäntel, mit denen sie sich gegen das vom Himmel fallende Wasser geschützt hatten, waren ihre Hemden und Hosen so nass, dass sie tropften. Ihnen folgte der ebenfalls völlig durchnässte Postillion, und so schloss Walther, dass die Männer die Pferde ausgespannt und versorgt hatten. Der junge Bursche und der ältere Mann lösten nun die beiden Passagiere an den Bratspießen ab.
Diese setzten sich zu Gisela und Walther. Einer von ihnen füllte die Becher, und sie stießen miteinander an. Auch Gisela und Walther tranken von dem leicht säuerlichen Wein, der sehr erfrischend schmeckte, und warteten hungrig auf das, was die Wirtin ihnen auftischen würde.
Diese nahm eine Gabel, stach damit in beide Kaninchen und nickte zufrieden. Auf einen Ruf von ihr brachte der Junge Holzteller zu den Tischen, dazu abenteuerlich aussehende Messer und Gabeln von enormer Größe. Danach half er der Mutter, die gebratenen Kaninchen von den Bratspießen abzuziehen und zu zerteilen.
Jeder Gast erhielt ein Stück Kaninchenfleisch und eine dicke Scheibe Brot. Danach sagte die Wirtin etwas, das Gisela und Walther als guten Appetit übersetzten, und setzte sich auf einen Stuhl neben dem Herd.
Während Walther den ersten Bissen kaute, stieß er Gisela leicht mit dem Ellbogen an. »Ich glaube nicht, dass das hier eine offizielle Poststation ist. Unser Postillion hat hier nur Rast gemacht, um dem Unwetter zu entgehen.«
»Dafür bin ich ihm dankbar«, antwortete Gisela. »Wenn ich mir vorstelle, wir würden jetzt noch in der Postkutsche sitzen und unter freiem Himmel dahinjagen, schaudert es mich.«
So als wolle das Unwetter ihre Worte bestätigen, erhellte ein besonders starker Blitz den Gastraum. Noch im selben Augenblick hallte der Donner ohrenbetäubend in ihren Ohren.
Die dicke Französin sagte etwas in ihrer Sprache, das Gisela und Walther nicht verstehen konnten. Ihrem Gesichtsausdruck nach aber schien die Frau ebenfalls froh zu sein, bei diesem Gewitter ein Dach über dem Kopf zu haben.
11.
E s gab keine Zimmer für die Reisenden, und so hatte der Wirtsknecht mehrere Schütten Stroh in der Gaststube ausgebreitet und Pferdedecken bereitgelegt. Aber an Schlafen war vorerst nicht zu denken, denn das Gewitter tobte die halbe Nacht hindurch, und das Krachen der Donner schreckte die Reisenden immer wieder hoch. Erst gegen Morgen fielen Gisela und Walther in einen unruhigen Schlummer, aus dem sie viel zu früh geweckt wurden.
Der Sohn der Wirtin beugte sich über sie. Da er begriffen hatte, dass die beiden Deutschen ihn nicht verstanden, zeigte er nach draußen und machte dabei eine Handbewegung, die rollende Räder anzeigen sollte.
»Wie es aussieht, geht es gleich weiter«, übersetzte Walther die Gesten für Gisela.
»Haben wir noch Zeit, uns zu waschen?«, fragte diese schlaftrunken.
Walther sah, dass ihre Mitreisenden sich von der Wirtin Weinflaschen und Essenspakete reichen ließen und ihr Gepäck an sich nahmen. »Wie es aussieht: nein.«
Nachdem sie rasch die Strohhalme, die an ihren zerknautschten Kleidern hafteten, entfernt hatten, ging Walther zur Wirtin, um für Übernachtung und Essen zu zahlen. Die Frau schrieb ihm die Summe auf einen Zettel und freute sich sichtlich, als er ihr auch noch einige Sou als Trinkgeld gab. Dann übernahm er das Gepäck, während Gisela ihm mit einer Flasche Wein und einem Paket voller Brot, Wurst und Käse folgte.
»Verhungern werden wir unterwegs nicht«, sagte sie, als sie wieder in der Kutsche saßen. Ihre Mitreisenden begannen bereits mit dem Frühstück. Allerdings schmeckte die Wurst, die die dicke Frau eben anschnitt, derart penetrant nach Knoblauch, dass Gisela beschloss, sich mit Brot und Käse zu begnügen.
Der Postillion nahm seinen Platz ein, befahl seinem Helfer, die Bremse zu lösen, und ließ dann die Peitsche über den Köpfen der Pferde knallen. Wenig später rollte die Kutsche wieder über die Landstraße. Die Folgen des nächtlichen Unwetters waren deutlich zu sehen. Abgerissene Äste lagen auf der Straße, und der Kutscher musste sein Gefährt mehrmals um
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