Das goldene Ufer
Walther.
Der Mann scherte sich nicht um ihn, sondern arbeitete weiter. Im nächsten Augenblick musste Walther beiseitespringen, weil ihn ein Knecht mit einer Schubkarre sonst umgefahren hätte.
Für Walther war dieses Chaos unmöglich zu durchschauen. Dutzende Schiffe lagen am Kai, einige nicht viel länger als dreißig Fuß, andere wiederum wahre Riesen, die mehr als hundert Fuß lang und mit Masten bestückt waren, die schier in den Himmel hineinragten.
Zwar gab es in der Stadt Agenten, die Passagen auf Schiffen nach Amerika verkauften, doch Walther wollte selbst einen Kapitän finden, um die unverschämte Summe zu sparen, die für eine solche Vermittlung gefordert wurde. Nun aber begriff er, dass er zu optimistisch gewesen war. Die meisten Schiffer, die er nach einer Passage nach New York oder Boston fragte, begriffen entweder nicht, was er wollte, oder schüttelten, wenn sie etwas Englisch verstanden, den Kopf und nannten andere, meist exotisch klingende Namen. Viele von den kleineren Schiffen fuhren nur an der französischen Küste entlang, andere nach Afrika oder Brasilien, doch kein Kapitän schien die Vereinigten Staaten zum Ziel zu haben.
Walther war schon kurz davor, aufzugeben und sich doch an einen Agenten zu wenden, da tippte ihm jemand auf die Schulter. Er drehte sich um und sah einen Mann mittleren Alters vor sich, etwas kleiner als er, aber breit gebaut. Er trug einen uniformähnlichen Rock, das Gesicht war kantig, und seine Augen glitzerten listig. In der Hand hielt er einen Sextanten.
»Sie nach Amerika wollen?«, fragte der Fremde in einem schlechten Englisch.
»Ja, ich will nach Amerika. Genauer gesagt nach New York oder Boston.«
Der Fremde grinste breit. »Ich nach Amerika fahren! Noch heute. Wenn mitkommen, du müssen an Bord!«
»Noch heute?« Eigentlich hatte Walther in Le Havre noch einiges besorgen wollen. Andererseits konnte er sich die notwendigsten Utensilien auch in New York oder in einer der anderen Städte besorgen, in denen sich deutsche Landsleute angesiedelt hatten.
»Was kostet die Überfahrt für zwei Personen?«, fragte er schon halb gewillt, mitzufahren.
Der französische Kapitän nannte ihm eine Summe, die Walther in zweihundert Taler umrechnete. Für zwei Leute war dies ein guter Preis. Deshalb schob er seine Bedenken beiseite.
»Wie ist es mit Lebensmitteln? Muss ich die selbst kaufen?«
Der andere nickte. »Alles, was du brauchen, Zwieback, getrocknete Bohnen, Speck, ein Fässchen Butter, Salz, Sauerkraut.«
Von diesen Lebensmitteln hatte Walther bereits in seinem Büchlein für Auswanderer gelesen. Er fragte, wie viel Zeit ihm noch bliebe.
»Zwei Stunden, auch drei, mehr nicht!«, erklärte ihm der Franzose.
»Welches ist Ihr Schiff?«, fragte Walther.
Der Kapitän drehte sich um und zeigte auf einen etwa achtzig Fuß langen Zweimaster. »Das es ist, die Loire! Ich bin, wenn darf mich vorstellen, Kapitän Hérault Buisson!«
»Angenehm! Mein Name ist Artschwager. Ich reise mit meiner Frau.«
» Oui! Wird gefallen Ihnen an Bord, und auch Frau. Sie in drei Stunden kommen an Bord. Dann zahlen.« Mit diesen Worten streckte Kapitän Buisson Walther die Hand hin. Dieser schlug ein, verabschiedete sich und eilte, so schnell es durch den Trubel am Hafen ging, zu seinem Quartier zurück.
2.
E rschöpft von der Reise hatte Gisela sich hingelegt und schlief, als Walther in die Kammer trat. Es tat ihm leid, sie wecken zu müssen, doch wenn sie rechtzeitig auf der Loire eintreffen wollten, mussten sie sich beeilen. Daher rüttelte er sie sanft. Sie murmelte etwas Unverständliches und schlief weiter.
»Aufwachen, mein Schatz! Wir haben ein Schiff«, rief er und stupste sie fester an.
Mit einem Schrei fuhr sie hoch, starrte ihn erschrocken an und atmete erleichtert auf. »Der Heiligen Jungfrau Maria sei Dank! Es war wieder nur ein Traum.«
»Was?«
»Ich dachte, Diebold hätte dich erschossen. Doch das kann er ja gar nicht mehr, da er selbst tot ist.«
»Es quält dich immer noch arg, nicht wahr? Deshalb ist es besser, wenn wir diesen Kontinent so rasch wie möglich hinter uns lassen. In der neuen Heimat wirst du an genug anderes zu denken haben! Dann werden diese dummen Träume dich nicht weiter quälen. Komm, zieh dich an! Wir haben nicht viel Zeit.«
»Du hast ein Schiff gefunden!«
Sie klang entsetzt. Seit sie am Vortag das Meer gesehen hatte, zitterte Gisela bei dem Gedanken, sich diesem unsicheren Element anvertrauen zu müssen. Da ihr jedoch keine
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