Das goldene Ufer
sich um den Fähnrich handeln. Walther sprang auf und lief zur Tür hinaus. Der Mann, der ihn geweckt hatte, musste ihn regelrecht festhalten, sonst wäre er vor lauter Hast die steile Treppe hinabgestürzt.
»Nun mal langsam mit den jungen Pferden! Es bringt deinem Leutnant nichts, wenn du dir den Hals brichst.«
»Danke!« Walther stieg nun vorsichtiger die Treppe hinab, verließ den Coq d’or und eilte in die Richtung, die der Bote ihm wies. Schon bald entdeckte er mehrere zwielichtige Gestalten, die sich über eine am Boden liegende Gestalt beugten, und stieß einen wütenden Ruf aus. »Verschwindet, ihr Gesindel!«
Drei Männer und eine Frau in zerlumpter Kleidung fuhren hoch, sahen im Schein der Straßenbeleuchtung nur einen Jungen auftauchen und langten nach ihren Messern.
In diesem Moment bedauerte es Walther, dass er die geladene Pistole im Gasthof zurückgelassen hatte. Da klang nicht weit entfernt der Marschtritt einer Patrouille auf, und die vier Diebe verschwanden so rasch wie ein Blitz.
Aufatmend trat Walther zu Diebold – und stöhnte entsetzt auf. Der Fähnrich sah aus wie ein Schwein, das sich im Schlamm gewälzt hatte, und stank durchdringend nach Erbrochenem.
»Herr Fähnrich, steht auf!«, flehte Walther, doch der junge Renitz rührte sich nicht.
Walther blieb nichts anderes übrig, als den Fähnrich unter den Armen zu packen und zum Coq d’or zu schleifen. Ins Gasthaus konnte er ihn in diesem Zustand nicht bringen, daher suchte er sich einen halbwegs sauberen Platz im Hof, holte einen Eimer und begann, Diebold samt seiner Kleidung mit Wasser vom Brunnen zu waschen. Dabei dachte er, dass er viel lieber bei Gisela sitzen und mit ihr zusammen trauern würde, anstatt sich um einen jungen Mann zu kümmern, der ihn während seiner Zeit beim Regiment oft genug seine Verachtung hatte spüren lassen.
Zweiter Teil
Auf Renitz
1.
V or ihnen lag die Heimat!
Walther jubelte innerlich, denn in all den Monaten beim Heer, insbesondere während der grässlichen Schlacht bei Waterloo, hatte er jede Hoffnung aufgegeben, das Dorf wiederzusehen, in dem er aufgewachsen war. Doch nun war der Aufenthalt in Paris ebenso Vergangenheit wie die Siegesparade in Berlin, bei der das Regiment Renitz das letzte Mal hinter seiner Fahne hermarschiert war. Mittlerweile hatte man das gräflich-Renitzsche Musketierregiment aufgelöst und die Offiziere und Soldaten auf preußische Infanterieregimenter verteilt. Medard von Renitz hatte seinen Abschied genommen, nachdem er von König Friedrich Wilhelm III. noch zum Generalmajor befördert worden war.
Walther starrte nachdenklich auf den Rücken des Grafen, der noch immer Uniform trug, obwohl er unterwegs mehrfach erklärt hatte, wie froh er sei, diese endlich ausziehen und als Gutsbesitzer leben zu können.
Im Gegensatz zu seinem Vater steckte der junge Renitz bereits in Zivilkleidern und schien sich in seinem karierten Rock, der seiner hoch aufgeschossenen, dünnen Gestalt etwas Unfertiges verlieh, unwohl zu fühlen. Man sah Diebold nun an, dass er erst fünfzehn Jahre zählte. Aus diesem Grund war er unterwegs bei weitem nicht mehr so ehrerbietig behandelt worden wie noch zu jenen Zeiten, in denen er Uniform getragen hatte. Walther gönnte das dem jungen Grafen, denn Diebold hatte sich nach seiner beschämenden Landung in der Gosse noch schlimmer aufgeführt als zuvor. Anstatt Walther für die Hilfe zu danken, hatte er ihn am nächsten Tag des Diebstahls bezichtigt und verprügelt. Das jedoch war ihm nicht gut bekommen: Denn verwundert über das viele Geld, das seinem Sohn angeblich gestohlen worden war, hatte sein Vater ihn einem scharfen Verhör unterzogen und dabei herausgefunden, dass Diebold die Leiche eines französischen Offiziers gefleddert hatte. Die Strafe dafür war das Verbot gewesen, bei der Siegesparade in Berlin mitzugehen, und die sofortige Versetzung in den Zivilstand. Seitdem herrschte eisige Kälte zwischen Vater und Sohn.
Daher ritt Graf Renitz an der Spitze, während Diebold sich ein ganzes Stück hinter dem Gepäckwagen halten musste, auf dem Walther neben Gisela saß.
Der Junge mochte nicht mehr an den Renitzschen Schnösel denken und drückte die Hand des Mädchens. »Bald sind wir zu Hause!«
Gisela zitterte plötzlich, als friere sie. »Ich habe kein Zuhause.«
»Doch! Graf Renitz hat versprochen, sich um dich zu kümmern. Dafür solltest du ihm dankbar sein«, sagte Walther tadelnd.
Er war erleichtert, dass sein Herr sein Versprechen
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