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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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verschlechtert sich von Semester zu Semester. Aber wir können nichts an der Situation ändern, denn die Anweisungen aus Hannover sind eindeutig. Entweder kuschen die Herren Studiosi, oder sie müssen gehen.«
    Ein Ausdruck des Unwillens zog über Artschwagers Gesicht, und er schlug mit der Linken durch die Luft. »Sie werden es noch früh genug erfahren. Es sind Aufwiegler unterwegs. Daher rate ich Ihnen eines: Halten Sie sich aus dem Schlamassel heraus. Das ist besser für Sie.« Damit verabschiedete der Professor sich und ließ Walther ratlos zurück.
    Erst am nächsten Tag erhielt er Aufklärung. Sein Freund Landolf Freihart fing ihn bereits an der Haustür ab und drückte ihm ein Flugblatt in die Hand.
    »Hier, Walther! Diese Forderungen haben wir in den Ferien aufgestellt. Entweder geht die Leitung der Georg-August-Universität darauf ein, oder sie können zusehen, von wem sie ihr Studiengeld erhalten.«
    Walther las den Zettel durch, fand die meisten Forderungen angemessen, ein paar andere allerdings überzogen und sah dann Landolf fragend an. »Wie wollt ihr das durchsetzen?«
    »Wir verweigern geschlossen die Teilnahme an den Vorlesungen. Wahrscheinlich verlassen wir sogar Göttingen und warten an anderer Stelle ab, bis die Herren Professoren nachgegeben haben.«
    Walther klang die Warnung Professor Artschwagers noch in den Ohren, und er fragte: »Und wenn sie es nicht tun?«
    »Sie haben keine andere Wahl, wenn sie wollen, dass wir zurückkommen. Hier, nimm ein paar Flugblätter und verteile sie. Ich muss weiter!« Damit drückte Landolf ihm ein halbes Dutzend Blätter in die Hand und eilte davon.
    Walther sah ihm nach und fragte sich, was er tun sollte. Obwohl das Herz ihm riet, sich an dem Protest der Studenten zu beteiligen, warnte ihn sein Verstand davor. Er durfte nicht riskieren, Graf Renitz’ Gunst zu verlieren. Wenn dessen Gemahlin zu der Überzeugung kam, sein Studium wäre für ihren Sohn nicht mehr von Nutzen, würde er zu Fuß nach Renitz zurückkehren und dort als einfacher Knecht arbeiten müssen.
    Allerdings durfte er sich nicht gegen die anderen Studenten stellen, wenn er die restlichen Semester ohne deren Schikanen überstehen wollte. In diesem Dilemma gefangen, kehrte er in das Haus der Witwe zurück und reichte Diebold eines der Flugblätter.
    »Hier, das hat man mir eben in die Hand gedrückt. Die Studenten rebellieren gegen die rigiden Regeln unserer Universität.«
    Diebold überflog das Blatt und warf es mit einem verächtlichen Schnauben auf den Tisch. »Was wollen diese Narren? Glauben sie, sie könnten die von Gott errichtete Ordnung stürzen?«
    Walther lag es auf der Zunge zu sagen, diese Ordnung sei nicht von Gott, sondern von Menschen gemacht worden, und zwar von all jenen, die die Macht in den Händen hielten. Doch er schwieg, weil er darauf gefasst sein musste, dass Diebold ihn aus Bosheit als einen der Aufrührer denunzierte.
    »Auf jeden Fall können wir heute nicht in die Vorlesungen gehen und an den nächsten Tagen wohl auch nicht. Wir würden uns den Zorn und die Verachtung all unserer Kommilitonen zuziehen – und Ihr wisst, was das heißt!«
    Dieser Appell verfing. Etliche Studenten waren nicht gerade zimperlich, wenn es galt, andere zu bestrafen. Eine Forderung zum Duell war das Mindeste, was sie zu erwarten hatten. Im Gegensatz zu anderen, in Burschenschaften organisierten Studenten, die eifrig mit dem Degen übten, war Diebold ein schlechter Fechter und nicht bereit, es zu einem Zweikampf kommen zu lassen. Zwar hätte er das niemals zugegeben, aber er fand rasch einen Ausweg.
    »Meine Tante Leopoldine ist schwer erkrankt. Es erfordert meine Pflicht, sie zu besuchen. Du kommst ebenfalls mit.«
    Zwar hatte die Schwester seiner Mutter ihm nur geschrieben, dass sie sich an einem kühlen Abend einen Schnupfen zugezogen habe, doch Diebold fand diese Ausrede ideal, um sich allen Fährnissen zu entziehen, die hier in Göttingen auf ihn warten mochten. Er schrieb sogar eigenhändig einen Entschuldigungsbrief an Professor Artschwager und forderte Walther auf, ihnen für den nächsten Tag eine Beförderungsmöglichkeit nach Kassel zu besorgen.

7.
    O bwohl Walther Diebolds Haltung und letztlich auch seine eigene für feige hielt, war er froh, sich den überschäumenden Emotionen entziehen zu können, die sich in Göttingen entluden. Als sie nach zwei Wochen zurückkehrten, war der Aufruhr vorbei. Von der triumphierenden Witwe Haun erfuhren sie, dass die Studenten

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