Das goldene Ufer
nahm er sich vor, ihr zu schreiben, doch als er nachzählte, wie oft er dies während des gesamten letzten Semesters getan hatte, kam er auf die beschämende Zahl von eins.
Wahrscheinlich denkt sie, ich hätte sie längst vergessen, schalt er sich, und mit einem Mal überkam ihn die Angst, sie könnte ihn vergessen haben. Der Gedanke schmerzte, und diesmal setzte er sich in einer freien Minute hin, um einen Brief an sie aufzusetzen. Was ihm am meisten am Herzen lag, nämlich seine eigene Zukunft, wagte er ihr jedoch nicht zu bekennen. Daher erschien ihm der Brief, als er fertig war, sehr banal, und er fragte sich, ob er ihn überhaupt abschicken sollte. Er tat es dann doch, nachdem er hinzugefügt hatte, dass Gisela der Mamsell Frau Frähmke, der Köchin Cäcilie und Förster Stoppel viele Grüße ausrichten solle. Als er den Brief endlich bei der Postmeisterei abgegeben hatte, schüttelte er den Kopf über sich selbst. Er hatte lange Jahre fest geglaubt, sich und Gisela eine gemeinsame Zukunft schaffen zu können. Doch seit jenen Stunden, in denen er sich mit Amalie Dryander gepaart hatte, wusste er, dass zu einer guten Ehe nicht nur Freundschaft gehörte, sondern auch Dinge, die er sich mit Gisela niemals ausgemalt hatte.
8.
L uise Frähmke betrachtete ihre fleißige Gehilfin voller Stolz. Zwar entsprach Gisela mit ihren schwarzen Haaren nicht dem Schönheitsideal dieser Gegend, in der kräftig gebaute Frauen mit weizenblonden Flechten bevorzugt wurden. Aber sie hatte ein apartes Gesicht und eine sanfte Art, die sie die Herzen gewinnen ließ. Bald würde sie achtzehn werden und war heiratsfähig. Doch sie beharrte weiter darauf, katholisch bleiben zu wollen, und das brachte jede Mutter eines interessierten jungen Mannes dazu, diesem zu verbieten, dem Mädchen weiterhin den Hof zu machen.
Dabei wäre eine rasche Heirat in den Augen der Mamsell das Beste für Gisela. War das Mädchen noch ledig, wenn Graf Diebold geruhte, nach Renitz zu kommen, würde sie sich seiner Zudringlichkeiten nicht mehr erwehren können.
»Hat jemand einen Teil des kostbaren Porzellans zerschlagen, Frau Frähmke?«, vernahm die Mamsell Giselas fröhliche Stimme.
Sie stemmte die Hände in die Hüften und maß das Mädchen mit einem strengen Blick. »Wie kommst du denn darauf?«
»Nun, Ihre Miene hat danach ausgesehen, als wollten Sie jemand zur Höllenstrafe verurteilen. Doch wer es auch immer gewesen sein mag, ich habe nichts wahrgenommen.«
»Du kannst auch nichts gesehen haben, du Spötterin, denn es hat niemand etwas kaputt gemacht. Ich mache mir Sorgen um dich! Auch wenn du den jungen Herrn vergessen zu haben scheinst: Ich habe es nicht! Irgendwann wird er wieder nach Renitz kommen, und dann bist du Freiwild für ihn. Willst du etwa so enden wie Osma?«
Gisela erbleichte und schüttelte heftig den Kopf.
»Dann musst du etwas dafür tun«, fuhr die Mamsell fort. »Auch wenn du dich Graf Diebold gewiss nicht so freiwillig hingeben wirst, wie Osma es getan hat, kannst du ihr Schicksal teilen und schwanger werden. Willst du dann wie sie ins Wasser gehen?«
»Daran war nur die Herrin schuld! Sie hat Osma eine verderbte Hure genannt und ihr erklärt, sie wolle sie und ihren Sündenbalg nicht hier auf Renitz sehen. Deswegen wusste die Arme keinen Ausweg mehr, als ihrem Leben ein Ende zu setzen!« Giselas leidenschaftlich ausgestoßene Worte stellten eine einzige Anklage gegen Gräfin Elfreda dar, die Osma sehenden Auges vor die Hunde hatte gehen lassen.
»Sei still!«, mahnte Frau Frähmke. »Auch wenn Ihre Erlaucht nur noch selten auf Renitz weilt, so besitzt sie genügend Zuträger, die ihr alles berichten, was hier geschieht und was gesagt wird.«
»Das weiß ich doch!« Gisela atmete tief durch, um sich zu beruhigen.
Unterdessen musterte die Mamsell das Mädchen nachdenklich. »Ich hatte früher die Hoffnung, es könnte etwas aus dir und Walther werden. Doch der lässt auch nichts mehr von sich hören. Wäre nicht der Förster etwas für dich? Er würde dir ein sanfter Gatte sein.«
»Den Förster soll ich heiraten?«, rief Gisela überrascht. »Aber er ist doch um etliches älter als ich und meistens krank.«
»Trotzdem kann er dir den Schutz bieten, den du so dringend brauchst. Also denk darüber nach! Da wir gerade bei Stoppel sind: Bring ihm bitte wieder Lebensmittel ins Forsthaus. Die anderen Mägde gehen nicht so gerne durch den Wald.« Frau Frähmke versetzte Gisela einen aufmunternden Klaps und sah dann zu, wie diese
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