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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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zähneknirschend hatten nachgeben müssen.
    »Die preußischen Behörden haben verkündet, sie würden keinen Absolventen der Göttinger Universität mehr in den Staatsdienst aufnehmen, wenn die Studenten ihre unverschämten Forderungen durchsetzen könnten. Also kuschen die Kerle, die nach Göttingen zurückgekehrt sind. In drei Tagen sollen die Vorlesungen wieder beginnen.«
    »Dann haben wir ja nichts verpasst«, erklärte Diebold zufrieden.
    Walther taten die Kommilitonen leid. Doch die Macht lag nun einmal bei den Herrschenden und ihren willfährigen Beamten, und daran würde sich wohl nichts ändern. Fast ununterbrochen drehten sich seine Gedanken um Stephan Thodes Überlegungen, der hier herrschenden Unterdrückung durch die Auswanderung nach Amerika zu entgehen. Zu seinem Bedauern hatte Stephan sich auf seinen letzten Brief hin nicht mehr gemeldet. Aber er war dem Freund für die Idee dankbar, das in einem rigiden System erstickende Deutschland zu verlassen.
    Diebold hatte überlegt, was er in den verbleibenden Tagen unternehmen konnte, und wandte sich mit einer höflichen Verbeugung an die Witwe. »Frau Haun, hätten Sie die Güte, die Haustür heute Abend eine Stunde später schließen zu lassen. Ich habe noch Besorgungen zu machen, die mich länger als bis um acht Uhr fernhalten werden.«
    Zu Walthers großer Überraschung schien die Witwe ins Grübeln zu kommen. »Ihr wisst, ich bin eine Frau mit festen Prinzipien. Davon will ich nicht abgehen. Ihr könnt jedoch, wenn Ihr zurückkehrt, an das Küchenfenster klopfen, dann wird Jule Euch aufschließen.«
    »Ich danke Ihnen!« Diebold lächelte zufrieden.
    Da der Bann einmal gebrochen war, konnte er dieses Privileg öfter einfordern, und wenn er dem Dienstmädchen ein paar Kreuzer zusteckte, würde sie ihm vielleicht sogar ohne Wissen ihrer Herrin öffnen. Dies tröstete ihn darüber hinweg, dass er bereits bei seinem zweiten Versuch, außerhalb zu übernachten, verschlafen hatte und nicht rechtzeitig zum Frühstück wieder hier gewesen war. Den Vorhaltungen seiner Hauswirtin zufolge hatte er damals so etwas Ähnliches wie eine Todsünde begangen. Nun aber sah es schon wieder viel besser aus.
    Am nächsten Tag erfuhren sie, dass die Universitätsleitung einige Studenten als Rädelsführer aus Göttingen verwiesen hatte. Darunter war auch Landolf Freihart, der beim Verteilen der Flugblätter gesehen worden war. Mit ihm verlor Walther seinen zweiten Freund und bedauerte dies zutiefst, auch wenn bereits eine gewisse Entfremdung zwischen Landolf und ihm eingetreten war.
    Die ersten Wochen des Semesters verliefen in unguter Stimmung. Die Studenten waren durch ihre Niederlage gereizt, während der Lehrkörper der Universität bedingungslosen Gehorsam einforderte und noch kleinlicher war als zuvor. Obwohl die Vorlesungen interessant waren und Walther viel lernte, war er froh, als Weihnachten nahte.
    Erneut blieb ihm die Reise nach Renitz verwehrt, denn Gräfin Elfreda hatte beschlossen, den Winter mit ihrem Gemahl in Meran zu verbringen, da ihr das Klima dort zuträglicher erschien als zu Hause. Walther musste Diebold begleiten und den unbezahlten Kammerdiener des jungen Grafen spielen. Doch das war ein geringer Preis dafür, diese herrliche Stadt und die auch im Winter wunderschöne Landschaft zu erleben.
    Zu seinem Bedauern konnten sie nur wenige Tage dort bleiben, dann mussten sie wieder nach Göttingen zurückkehren. In der kurzen Zeit aber hatte Walther den Eindruck gewonnen, als ginge es Graf Renitz ein wenig besser. Der alte Herr hatte ihm sowohl bei seiner Ankunft wie auch beim Abschied erstaunlich kräftig die Hand gedrückt und sogar ein paar Sätze mit ihm gewechselt. Vielleicht, dachte er, als sie die Rückreise antraten, wurde doch noch alles gut.
    Der Rest des Semesters verlief ohne besondere Vorkommnisse, und als diesmal die Ferien anstanden, wusste Walther, dass er die Hälfte seines Studiums absolviert hatte. Graf und Gräfin Renitz hielten sich in Karlsbad auf, und daher musste er mit Diebold dorthin reisen. Mehr als anderthalb Jahre war er jetzt nicht mehr in Renitz gewesen, und manchmal schien ihm die Zeit dort so fern wie der Mond. Wenn er an Gisela dachte, tauchte in seinen Gedanken das magere Ding auf, das er bei Waterloo aus dem Schlamm gezogen hatte. Gelegentlich versuchte er sich vorzustellen, wie sie jetzt wohl aussehen mochte, und fragte sich, ob sie nun diesem jungen weiblichen Kurgast ähneln würde oder doch eher jenem. Immer wieder

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