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Das goldene Ufer

Das goldene Ufer

Titel: Das goldene Ufer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Iny Lorentz
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junge Mann lag ihm am Herzen. In seinen Träumen erlebte er immer wieder die Szene, in der der Franzose auf ihn zugestürmt war. Damals hatte Walther ihm das Leben gerettet, und das wollte er ihm vergelten.
    »Euer Erlaucht sind zu gütig!« Walther lächelte bitter, denn er wusste genau, dass Graf Renitz auch in seinen lichteren Tagen nicht mehr Herr seiner selbst war, sondern ein Gefangener seiner Gemahlin, die mittlerweile alles für ihn entschied. Es wunderte ihn, dass sie ihm nicht den Zuschuss für das Studium entzog. Wahrscheinlich hatte sich Diebold dagegen ausgesprochen, weil dieser ihn dringend brauchte, um selbst seinen Abschluss zu schaffen.
    Noch während Walther dieser Gedanke durch den Kopf schoss, wies Elfreda von Renitz zur Tür. »Geh jetzt! Mein Gemahl ist ermüdet.«
    Walther verbeugte sich noch einmal und verließ wortlos das Zimmer. Diebold folgte ihm auf dem Fuß und schüttelte sich draußen theatralisch. »Mein alter Herr ist ziemlich marode. Bin gespannt, wie lange er es noch macht.«
    Seine Mutter hatte seinen Ausspruch gehört und bedachte ihn mit einem tadelnden Blick. »Das will ich nicht gehört haben! Mit entsprechender Pflege und dem Aufenthalt in den passenden Kurorten wird Seine Erlaucht noch lange leben.«
    Zuerst war Walther überrascht, denn für so innig hatte er das Verhältnis der Gräfin zu ihrem Gemahl nicht gehalten. Dann aber begriff er, was die Dame antrieb. Solange Medard von Renitz lebte, konnte sie in seinem Namen schalten und walten, wie es ihr gefiel. Nahm ihr Sohn jedoch die Stelle seines Vaters ein, war es mit ihrer Herrschaft vorbei. Obwohl sie Diebold über alles liebte, so war sie doch nicht bereit, zu seinen Gunsten in den Hintergrund zu treten.
    Walther schüttelte insgeheim den Kopf, als er daran dachte, wie unterschiedlich Frauen sein konnten. Amalie Dryanders Antrieb war Lust, während Elfreda von Renitz bereits vor langer Zeit auf körperliche Erfüllung zugunsten der Macht verzichtet hatte. Das Wesen einer idealen Frau lag wohl irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden. Wieder musste er an Gisela denken, lachte dann aber über sich selbst. Sie war noch ein Kind, und es würde noch Jahre dauern, bis sie zur Frau herangereift war. Auf den Augenblick des zur Jungfrau erblühten Mädchens war er jedoch sehr gespannt.
    Vorerst gab es anderes zu tun, als an eine erwachsene Gisela zu denken. Er musste sein und Diebolds Gepäck aufladen lassen und dann neben dem Kutscher auf dem Bock Platz nehmen, weil Diebold die vier Sitze des Gefährts für sich allein beanspruchte.
    Von St. Gallen ging es mit der Postkutsche nordwärts. Auch hier musste Walther, wenn zu viele Leute mitfuhren, oben neben dem Kutscher sitzen. Diebold schien es Spaß zu machen, immer auf ihn zu deuten, wenn es darum ging, Platz für andere zu schaffen. Walther überstand jedoch Regen und Hitze, ohne krank zu werden, und als sie endlich in Göttingen einfuhren, wirkte er mit seiner von der Sonne gebräunten Haut und seinem regen Blick gegenüber Diebolds blassem Gesicht wie das blühende Leben.
    Die Witwe Haun empfing sie erfreut, deutete aber gleich beim ersten Abendessen an, dass sie sich nicht imstande sähe, die beiden Zimmer weiterhin zum selben Mietzins zur Verfügung zu stellen.
    »Ich werde einen entsprechenden Brief an den Rentmeister meiner Mutter schicken«, versprach Diebold, fand aber rasch, dass dies keine standesgemäße Arbeit für ihn war, und befahl daher Walther, es für ihn zu tun.
    »Sehr wohl, Euer Hochwohlgeboren!« Walther fragte sich, wie dieser junge Mann einmal das Erbe seines Vaters übernehmen und gedeihlich weiterführen wollte, wenn er allem aus dem Weg ging, was ihm nicht passte. Trotz seines Widerwillens stieg er in sein Zimmer hinauf und setzte den geforderten Brief auf. Diebold ließ sich herab, diesen zu unterschreiben, und so konnte Walther den Wunsch der Witwe nach höherer Miete noch am selben Tag zum Posthalter bringen.
    Am Eingang der Postmeisterei kam ihm Professor Artschwager entgegen. Walther wollte ihn vorbeilassen, doch da streckte Artschwager ihm die Hand entgegen. »Fichtner, freue mich, Sie zu sehen!«
    »Herr Professor! Die Freude ist ganz meinerseits.« Es war nicht einmal gelogen, denn obwohl Walther Professor Artschwager als strengen Gelehrten erlebt hatte, so hatte er ihn doch schätzen gelernt.
    »Wenn Sie sich bei meinem Anblick freuen, Fichtner, sind Sie einer der wenigen Studenten, wenn nicht gar der einzige, der dies tut. Die Stimmung

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