Das goldene Ufer
Achseln. »Also, ich finde die Zimmer sauber genug.«
Jetzt wurde Gisela zornig. »Ob du das findest oder ein Pferd lässt einen Apfel fallen, das bleibt sich gleich. Ihr werdet tun, was ich euch sage. Oder soll ich es der Mamsell melden?«
Das wollten die beiden dann doch nicht und trollten sich mürrisch. Im Weggehen hörte Gisela noch, wie Imma zu der anderen sagte: »Was bildet diese dumme Kuh sich überhaupt ein? Sie tritt auf, als wäre sie die Gnädigste selbst. Dabei ist sie nicht einmal eine richtige Christin, sondern katholisch getauft.«
Diese Tatsache, dachte Gisela, würde sie wohl bis an ihr Lebensende verfolgen. Auch ihre Träume, die sie manchmal zu hegen wagte, drohten an diesem Umstand zu scheitern. Doch den Schwur, den sie ihrer sterbenden Mutter geleistet hatte, durfte sie nicht brechen, sonst würde sie den Zorn der Himmelsmutter auf sich laden.
»Gisela, ich sehe Walther kommen. Bei Gott, er bringt den Hirsch selbst! Er sollte doch wissen, dass er sich als Förster Seiner Erlaucht nicht wie ein Knecht benehmen darf.« Luise Frähmkes Stimme riss Gisela aus ihren Gedanken. Rasch eilte sie zum Hintereingang des Schlosses und öffnete die Tür just in dem Augenblick, in dem Walther anklopfen wollte. Er ließ die erhobene Hand wieder sinken und lächelte ihr zu.
»Das trifft sich gut. Wo soll ich das Wildbret hinbringen?«
»Als höflicher Mensch sagt man erst einmal guten Tag«, antwortete Gisela kratzbürstig.
»Guten Tag, Gisela!«
Sein Lächeln entwaffnete sie, und so wies sie mit dem Daumen nach hinten. »Bring den Hirsch in das Gewölbe hinunter und häng ihn dort auf. Frau Frähmke wartet schon sehnsüchtiger auf das Wildbret als eine Jungfrau auf ihren Geliebten.«
»Ich hoffe, sie verzeiht mir, dass ich ihn erst jetzt bringe und nicht gleich am Morgen. Aber ich wollte das Tier nicht schon gestern schießen. Es ist noch recht jung und muss daher nicht so lange abhängen wie ein alter Bulle.«
Walther wuchtete sich das Tier auf die Schulter und folgte Gisela. Diese führte ihn in den Vorratskeller und sah zu, wie er den Hirsch geschickt an den Haken hängte.
»Damit kann Cäcilie den Gästen der Herrschaft einen feinen Braten auftischen«, sagte er, als er seiner Last ledig war.
»Es wird nicht nur Hirschbraten geben, sondern auch etliche andere Gänge. Nächste Woche brauchen wir übrigens Fasanen. Ihre Erlaucht will sie einer erkrankten Tante schicken.« Gisela spottete in Gedanken ein wenig darüber, denn die besagte Dame hatte bei ihrem letzten Besuch von Cäcilies Fasanensuppe geschwärmt. Ob deren Köchin diese jedoch ebenso gut zuzubereiten wusste, bezweifelte sie.
»Ich werde mich darum kümmern«, versprach Walther.
»Danke! Wie geht es übrigens Herrn Stoppel? Er hat sich hoffentlich ein wenig erholt?« Obwohl Gisela nie ernsthaft erwogen hatte, den ehemaligen Förster zu heiraten, bewegte dessen Schicksal sie mehr, als es Walther gefiel.
»Er ist immer noch recht schwach, und sein Husten will nicht weichen – trotz aller Mittel, die Cäcilie, Frau Frähmke oder du ihm zubereitet haben. Ich habe ihm schon mehrfach vorgeschlagen, einen Arzt aus der Stadt kommen zu lassen, doch das will er nicht. Der koste nur teures Geld und könne ihm doch nicht helfen, sagt er. Mit Müh und Not konnte ich ihn dazu bewegen, die Pfefferminzpastillen zu lutschen, die ich in der Apotheke gekauft habe. Mit denen kann er zumindest besser atmen.« Trotz einer gewissen Eifersucht und seines immer drängender werdenden Wunsches, Renitz und damit auch das Königreich Preußen zu verlassen, lag Walther Stoppels Schicksal am Herzen.
»Wenn du das nächste Mal in die Stadt kommst, könntest du mir auch ein paar Pfefferminzpastillen mitbringen«, entfuhr es Gisela harscher, als sie es eigentlich wollte. Sogleich winkte sie mit einer heftigen Geste ab. »Vergiss, was ich gesagt habe, und kaufe die Pastillen für Herrn Stoppel. Er ist ein freundlicher Mann, und es tut mir leid, dass er so krank geworden ist.«
»Sonst hättest du ihn wohl geheiratet!« Walther klang giftig und ärgerte sich im nächsten Moment darüber. »Verzeih mir. Ich habe kein Recht, dir Vorhaltungen zu machen.«
»Das hast du gewiss nicht. Aber es hätte ohnehin nichts aus einer Heirat mit Herrn Stoppel werden können. Du vergisst, dass ich katholisch bin, und das wird in dieser Gegend nicht gerne gesehen.«
»Warum wechselst du den Glauben nicht? Pastor Künnen würde sich freuen. So schlimm wie früher ist er nicht
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